TV-Tipp: "Ostfriesentotenstille"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
25. April, Arte, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Ostfriesentotenstille"
Das mittlere Drittel des Films lebt vor allem vom Katz-und-Maus-Spiel zwischen Arzt und Kommissarin: Klaasen hält Sommerfeldt für einen Narzissten, der sich ihrer Ansicht nach maßlos überschätzt. Im letzten Akt entwickelt sich der Film inklusive des dramatischen Finales zwar in eine genreübliche Richtung, nimmt aber dennoch eine überraschende Wendung

Selbstjustiz im Krimi ist immer eine Gratwanderung. Natürlich darf niemand das Gesetz in die eigene Hand nehmen und ein Urteil vollstrecken. Andererseits haben es die Menschen, denen die Rache gilt, in der Regel nicht besser verdient, weshalb den meist männlichen Tätern die Sympathie des Publikums sicher sein kann. Für den vierzehnten "Ostfrieslandkrimi" gilt das erst recht. Bernhard Sommerfeldt könnte als Arzt, dem die Frauen vertrauen, auch die Hauptfigur einer Serie sein: attraktiv, eloquent, gebildet und ganz offenkundig ein Mensch, dem der Beruf Berufung ist.

Nachts jedoch lebt er seine düstere Seite aus, schlüpft wie Batman in ein furchterregendes Kostüm und sucht all’ Jene heim, die anderen Unrecht tun, frei nach dem Motto: Wer seinen Mitmenschen das Leben zur Hölle macht, darf sich nicht wundern, wenn er Besuch vom Teufel bekommt. So beginnt der Film auch: Erstes Opfer des Doktors ist Johann Ricklef, ein Mann, dessen Sohn in der Schule allzu oft erzählen muss, er sei wieder mal die Treppe runtergefallen.

Sommerfeldt fordert Ricklef auf, seine Frau fortan wie eine Königin zu behandeln und seinem Kind ein guter Vater zu sein. Außerdem soll er Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" auswendig lernen, schließlich ist dieser Teufel ein Vigilant mit Stil. Die zweite Heimsuchung überlebt Ricklef nicht, aber sie erfolgt erst später. Zunächst können die Kripo-Kollegen nicht recht nachvollziehen, warum Ann Kathrin Klassen in dieser Sache ermitteln will, doch die Kommissarin spürt, das Mutter und Sohn Angst haben; "aber nicht vor dem Teufel."

Der wiederum ist bei seiner nächsten Mission persönlich betroffen, auch wenn diese Handlungsebene zunächst ganz anders beginnt: Ein Musikmanager verabreicht einer Nachwuchssängerin K.o.-Tropfen und macht sich anschließend über die wehrlose junge Frau her. Sie ist nicht sein erstes Opfer; er pflegt seine Taten zu filmen und im verborgenen düsteren Teil des Internets zum Kauf anzubieten. Dort findet sich auch ein Video mit einer früheren Freundin: Beate Herbst (Sinja Dieks) ist Grundschullehrerin, der Ex erpresst sie mit dem Video zu weiterem Sex; ansonsten würde die ganze Schule erfahren, was sie einst getrieben hat. Da Beate mittlerweile die Lebensgefährtin Sommerfeldts ist, muss der Mann für sein schändliches Treiben prompt den höchsten Preis bezahlen.

Regisseurin Katrin Schmidt hat den Film mit demselben Team gedreht wie zuletzt "Ostfriesenhölle". Der Krimi hat die gleichen fahlen Farben; die Umsetzung ist auch diesmal im positiven Sinn solide, wenngleich überraschungsarm. Für die Geschichte gilt das zum Glück nicht. Die "Ostfrieslandkrimis" basieren auf den Romanen von Klaus-Peter Wolf. Diesmal hat Autorin Carola M. Lowitz (hier unterstützt von Christian Limmer), die ebenfalls schon bei "Ostfriesenhölle" dabei war, mit "Totenstille im Watt" und "Totentanz am Strand" gleich zwei Vorlagen genutzt. Die wahre Identität des "Teufels" gibt das Drehbuch schon früh preis, aber das erhöht die Spannung sogar.

Zwar kommt auch Klaasen dem Doktor beizeiten auf die Schliche, aber ihr fehlen die Beweise. Davon abgesehen ist sie zum Kummer ihres Mannes (Tom Radisch hat schon im letzten Film Christian Erdmann ersetzt) recht angetan von dem charismatischen Arzt, der auf Empfehlung des Kollegen Rupert (Barnaby Metschurat) auch sie selbst behandelt, weil sie schon seit einiger Zeit unter heftigen Magenschmerzen leidet. Wie sich die beiden gegenseitig mit Goethe-Zitaten beeindrucken, ist ein kleines Vergnügen. Zu diesem Zeitpunkt ahnt die Kommissarin noch nicht, dass Sommerfeldt Faust und Mephisto in einer Person ist.

Natürlich brauchte Schmidt für diese wichtige Episodenrolle einen Darsteller von entsprechendem Format. Ihre Wahl traf auf Sven Schelker, was durchaus überrascht: Zumindest mit Blick auf deutsche Produktionen ist die Filmografie des Schweizers eher überschaubar. Das könnte sich mit "Ostfriesentotenstille" ändern. Gerade die bewusst theatralischen Auftritte als Teufel in Menschengestalt haben ihm spürbar Spaß gemacht. Das mittlere Drittel lebt vor allem vom Katz-und-Maus-Spiel zwischen Arzt und Kommissarin: Klaasen hält Sommerfeldt für einen Narzissten, der sich ihrer Ansicht nach maßlos überschätzt. Im letzten Akt entwickelt sich der Film inklusive des dramatischen Finales zwar in eine genreübliche Richtung, nimmt aber dennoch eine überraschende Wendung, zumal nun mit Sommerfeldts verliebter und unerwartet mordlustiger Praxisassistentin (Milena Straube) eine neue Figur das Geschehen diktiert.