Drei Dinge braucht der Mann, hieß es einst in einer Tabakwerbung: Feuer, Pfeife, Stanwell. Mindestens drei Dinge braucht auch ein Film, um sich eine Empfehlung zu verdienen: eine gute Story, fesselnde Figuren und eine ansprechende Umsetzung. Bei Krimis kann zudem ein gewisser Grad an Spannung nicht schaden. Ein sehenswertes Ensemble ist ohnehin unabdingbar. Der Schauplatz sollte nach Möglichkeit bloß Dreingabe und keineswegs Ausgleich für ein Defizit bei den Grundvoraussetzungen sein. Ausflüge ins Privatleben des ermittelnden Personals sind Geschmacksache. Wenn sie schlüssig und flüssig in die Handlung integriert sind und sich im besten Fall mit der Krimiebene überschneiden, spricht nichts dagegen.
Gemessen an all’ diesen Gesichtspunkten ist der neunte "Barcelona-Krimi" eine gelinde Enttäuschung. Dabei ist die Geschichte durchaus interessant, selbst wenn es eine Weile dauert, bis Paul Salisbury in seinem ersten Drehbuch für die Reihe zur Sache kommt: Das verrufene Viertel, in dem Kommissar Xavi Bonet (Clemens Schick) aufgewachsen ist, wurde lange von einer Gang terrorisiert.
Damit ist nun Schluss: Ausgerechnet eine Friseurin (Inga Busch) hat eine Bürgerwehr organisiert; ihr Sohn ist als Zeuge eines Verbrechens so schwer verletzt worden, dass er im Rollstuhl sitzt. Seit die Mitglieder der Gruppe in den Straßen patrouillieren, kann man sich auch nachts wieder vor die Tür trauen. Als der Sohn einer Imbissbesitzerin getötet wird, sieht es zunächst so aus, als sei er das Opfer eines Bandenkriegs geworden: Benicio gehörte zu den "Perros", die sich nach der Verhaftung ihres Anführers angeblich aufgelöst haben. Der junge Mann hatte sich daraufhin der von der Polizei mehr als bloß geduldeten Bürgerwehr angeschlossen. Er ist mit einem Elektroschocker bearbeitet worden, aber sein Tod war wohl nicht geplant; er hatte einen Herzfehler.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Verlauf ihrer Ermittlungen finden Bonet und Kollegin Fina Valent (Anne Schäfer) allerdings heraus, dass der Bock mittlerweile zum Gärtner geworden ist: Die neuen Herren des Viertels sind keinen Deut besser als die alten. Diesen Handlungskern schmückt Salisbury jedoch mit allerlei Girlanden, die mit der eigentlichen Geschichte nichts zu tun haben und daher auch nicht der Wahrheitsfindung dienen.
Die Szenen mit Kripochef Fernandez (Alexander Beyer) und seiner dementen Frau sind berührend, doch ansonsten sind die Ausflüge ins Privatleben gänzlich überflüssig: Valent vertreibt sich die Nächte mit einer Zufallsbekanntschaft, wird aber regelmäßig aus dem Bett geholt, weil die Arbeit ruft. Bonets Lebensgefährte Antoni (Renato Schuch) begeht die Dummheit, eine Affäre mit einer leicht zu durchschauenden Lüge zu kaschieren; und das, obwohl er mit einem Polizisten liiert ist. Immerhin kann Salisbury dank Antoni eine Figur ins Spiel bringen, die den Krimi zumindest zeitweise auch dank der Besetzung auf ein höheres Niveau hebt: Pastor Enrique Diaz (Martin Feifel) betreibt in dem Viertel einen Boxclub für Jugendliche und hat auch Bonets Freund davor bewahrt, auf die schiefe Bahn zu geraten. Der Pfarrer hütet gleich zwei Geheimnisse; eins davon stellt eine tödliche Gefahr für ihn dar.
Die umstrittene Selbstjustiz vigilanter Bürgerwehren war bereits einige Male Thema im TV-Krimi, allen voran in den beiden "Tatort"-Episoden "Ihr werdet gerichtet" (2015), einem der besten Beiträge aus Luzern, sowie "Die Wacht am Rhein" (Köln, 2017). Von deren Qualität ist "Wächter der Stadt" weit entfernt, was auch an der Regie liegt. Dabei ist Andreas Kleinert, vierfacher Grimme-Preisträger, eigentlich ein zuverlässiger Garant für herausragende Filme. Mit seiner Brasch-Hommage "Lieber Thomas" (Deutscher Filmpreis 2022) hat er ein Werk gedreht, das sich wie die Hauptfigur allen Konventionen widersetzt. Auch seine mehrfach preisgekrönten Sonntagskrimis waren regelmäßig mindestens sehenswert.
Für sein "Barcelona"-Debüt gilt das nur mit Abstrichen. Die Bildgestaltung (Johann Feindt, wie fast immer bei Kleinert) ist sorgfältig, aber besondere Akzente wie zum Auftakt, als die Kamera mit einem Schwenk vom Imbiss aufs Stadtpanorama und wieder zurück sehr elegant mehrere Filmstunden überbrückt, haben Seltenheit. Größeres Manko ist indes trotz einer Verfolgungsjagd durch Gassen und über Dächer der Mangel an Spannung, sowohl vorder- wie hintergründig. Hinzu kommt, dass eine zentrale Rolle nur bedingt glaubwürdig besetzt ist. Auch die jungen Mitwirkenden haben bestimmt ihr Bestes gegeben, aber rundum gelungen sind ihre Darbietungen nicht.