Soziologe: Jungwähler weniger extrem als Ergebnisse nahelegen

Soziologe: Jungwähler weniger extrem als Ergebnisse nahelegen
24.02.2025
epd
epd-Gespräch: Daniel Behrendt

Hildesheim (epd). Der Soziologe Michael Corsten sieht im Wahlverhalten der Erst- und Jungwähler bei der Bundestagswahl am Sonntag eine Reaktion auf eine „kumulative Krisensituation“. Dass gerade Linke und AfD massive Zuwächse in der Gruppe der unter 25-Jährigen verzeichneten, könne als Hinweis auf ein schwindendes Vertrauen der Jüngeren in die Problemlösungskompetenz der Altparteien gedeutet werden.

„Flüchtlingskrise, Klimakrise, Coronakrise, Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten: Die junge Generation ist quasi im Schatten globaler Krisenmomente großgeworden. Das hat für tiefe Verunsicherung gesorgt und führt dazu, dass ihr politischer Suchprozess unberechenbarer und ihr Wahlverhalten flexibler geworden ist“, erläuterte der an der Universität Hildesheim lehrende Soziologie-Professor.

Auch gebe es bei den Jüngeren womöglich weniger Vorbehalte gegenüber Parteien, die mehr oder weniger offenkundig an problematische historische Vorbilder anknüpften. „Bei vielen Älteren mag eine Hemmschwelle bestehen, eine Partei zu wählen, die aus SED hervorgegangen ist oder Assoziationen an den Nationalsozialismus weckt. Im Bewusstsein vieler Jungwähler scheinen diese geschichtlichen Bezüge schwächer zu sein, entsprechend niedriger ist ihre Reserviertheit“, sagte Corsten.

In der Wählergruppe der unter 25-Jährigen rangiert die Linke mit einem Zweitstimmenergebnis von 25 Prozent vor der AfD mit 21 Prozent. Bei der vorangegangenen Bundestagswahl 2021 hatten die Grünen (23 Prozent) und die FDP (21) die Spitzenplätze belegt. Linke (8) und AfD (7) waren die Schlusslichter.

Der Soziologe, der wiederholt - etwa während der Corona-Pandemie - zur Situation Jugendlicher geforscht hat, betonte, das Wahlergebnis der Erst- und Jungwähler deute nicht zwangsläufig darauf hin, dass die politischen Einstellungen der Jungen extremer würden. Zum einen liege der Anteil der jungen AfD-Wähler etwa auf dem Niveau der Gesamtbevölkerung. Zum anderen sei nicht unwahrscheinlich, dass ein Teil der Linken-Wähler bei der nächsten Bundestagswahl wieder zu Grünen und SPD zurückkehrten. „Gerade die Grünen, die in den kommenden Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach in der Opposition sein werden, können sich dort wieder stärker in ihren Kernthemen profilieren.“

Themen, für die die Grünen in den vergangenen Jahren starken Zuspruch bei Erstwählern erhalten hätten, seien unverändert relevant für junge Menschen, unterstrich Corsten. „Es dürfte dasselbe, tendenziell studentische Milieu sein, das jetzt links gewählt hat und für das Klimaschutz, globale Bewegungsfreiheit und gesellschaftliche Diversität nach wie vor zentrale Themen sind.“

Demgegenüber seien junge AfD-Wähler vor allem im Arbeitermilieu stark repräsentiert. „Hier dürften die Fragen des sozialen Statuserhalts und einer restriktiveren Politik bei Zuwanderung und innerer Sicherheit wahlentscheidend gewesen sein.“