Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, hat das Schreiben der Kirchen mit Kritik an den Anträgen der Union im Bundestag zur Asylpolitik verteidigt. Zum Thema Migration und Stärkung der Demokratie hätten die Kirchen "sehr klare Positionen", und es sei auch wichtig, dass sie in den demokratischen Diskurs eingetragen werden, sagt Fehrs am Donnerstag bei einer Online-Pressekonferenz. Die Öffentlichkeit habe auch einen Anspruch darauf, die Positionen der Kirchen zu hören, ergänzte die Hamburger Bischöfin.
Gleichzeitig "erheben diese Papiere niemals den Anspruch, letzte Wahrheiten zu verkünden", sagt Fehrs. Sie seien dazu da, diskutiert zu werden, "kritisch auch", sagt Fehrs. "Eine demokratische Debatte in diesem Sinne wird im Moment gebraucht", ergänzte die Theologin. Auf die Frage, ob das Schreiben innerhalb der EKD nicht abgestimmt war, wie es Aussagen von CSU-Vertretern nahelegten, sagte Fehrs, es gehe bei den Stellungnahmen der Prälaten in Berlin zu Gesetzesvorhaben um "ordnungsgemäße, standardisierte Verfahren". "Die erfolgen immer auf Grundlage der Beschlusslage der EKD", sagt sie.
Der CSU-Vorsitzende Markus Söder sagte am Donnerstag dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Er freue sich, wenn die Kirchen sich engagieren: "Ich würde mir aber auch bei Fragen, die den Kern des Christentums berühren, eine lautere Stimme der Kirchen wünschen - beispielsweise beim Lebensschutz und beim Paragrafen 218." Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, bezeichnete die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz geäußerte Kritik am Kurs des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) so kurz vor der Bundestagswahl als "Kardinalfehler"
Der Weltkirchenrats-Vorsitzende Bedford-Strohm kontert die Kritik aus der Union wiederum deutlich. Kirchen hätten "nicht die Aufgabe, den politisch Verantwortlichen nach dem Munde zu reden", so der frühere bayerische Landesbischof. CSU-Vorstand Holetschek sagte zuvor, er sehe die "zentralen Kompetenzen" der Kirchen darin, der Gesellschaft ein christliches Fundament zu geben: "Wenn die Kirchen die Rolle einer tagespolitisch getriebenen, x-beliebigen NGO (Nicht-Regierungs-Organisation) einnehmen, machen sie sich kleiner, als sie sind."
Kirchen reden Politikern "nicht nach dem Munde"
Bedford-Strohm sagte bereits am Mittwochabend bei einem Themenabend zu "Flucht, Asyl und Migration" im sachsen-anhaltischen Stendal, es liege "ein grundsätzliches Missverständnis" vor, wenn Politiker den Kirchen "das Recht auf kritische Stellungnahmen zu Grundorientierungsfragen" wie dem Asylrecht absprächen. "Die Rechte der Kirchen gar von ihrem Wohlverhalten gegenüber denen abhängig machen zu wollen, die die politische Macht haben, wäre geradezu absurd", sagte Bedford-Strohm und ergänzte: "Aus meiner Arbeit im Weltkirchenrat kenne ich solche Haltungen aus autokratisch regierten Ländern. In Demokratien haben sie keinen Platz."
Damit spielte Bedford-Strohm offenbar auf Aussagen von CSU-Chef Söder vom vergangenen Wochenende an. Auf dem CSU-Parteitag am vergangenen Samstag hatte der bayerische Ministerpräsident die Kritik der Kirchen teils scharf zurückgewiesen. "Ich weiß, wie plural Kirchen organisiert sind, deswegen keine Kritik, aber vielleicht als kleinen Merkposten, nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Institution Kirche steht. Es sind nämlich wir. Nicht, dass irgendwann man ganz plötzlich alleine steht. Denkt mal drüber nach." Zudem sagte Söder, der Freistaat zahle Gehälter der Kirchen - ein stark verkürzter Hinweis auf die vertraglich geregelten Staatsleistungen.
Kritik an Söder kommt auch von der Evangelischen Jugend in Bayern. Deren Vorsitzender Malte Scholz fragt laut Mitteilung vom Donnerstag in Richtung des CSU-Chefs: "Sind Themen wie der Einsatz für die Schwächeren oder der Schutz der Schöpfung etwa keine christlichen Themen?" Mahnende Worte von Geistlichen zu humanitären Themen dürften nicht als feindlicher Angriff auf parteipolitische Entscheidungen gesehen werden. "Unser Glaube ist politisch, aber nicht parteipolitisch", sagt Scholz. "Deswegen müssen wir uns positionieren und dürfen Konflikten nicht aus dem Weg gehen." Man werde auch weiterhin den demokratischen Grundwerte-Kompass verteidigen.
Mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und AfD war am 29. Januar im Bundestag ein Antrag verabschiedet worden, der dauerhafte Grenzkontrollen, Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze und eine unbefristete Inhaftnahme von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern fordert. Die Berliner Büros der Kirchen hatten sich zuvor mit einem Schreiben an Bundestagsabgeordnete gewandt, in dem sowohl der Inhalt als auch die absehbare Inkaufnahme von Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD kritisiert wurden. Den Brief hatten die Leitungen der Berliner Büros der Kirchen unterzeichnet, Anne Gidion für die evangelische und Karl Jüsten für die katholische Kirche. Er erntet seitdem heftige Kritik aus der Union. Einzelne katholische Bischöfe distanzierten sich.