Der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Berliner Bischof Christian Stäblein, hat die demokratischen Parteien zu einer humanitären Migrations- und Asylpolitik aufgerufen. Mit Entsetzen habe er am Mittwoch die entsprechende Bundestagsdebatte und anschließende Abstimmung verfolgt, sagte Stäblein dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Stäblein betonte, Debatte und Abstimmung seien niemandem gerecht geworden: "Weder jenen, die in Sorge und Angst nach den schrecklichen Ereignissen in Aschaffenburg und Solingen nach angemessenen, sachgerechten Antworten suchen. Noch jenen, die in existenzieller Not ihren Weg zu uns gefunden haben und sich auf ein menschliches Gesicht dieser Gesellschaft verlassen."
Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst hat das Durchsetzen eines CDU/CSU-Antrages zur Migrationspolitik im Bundestag mit Stimmen der AfD scharf kritisiert. "Mir fallen gerade keine ausgewogenen und besonnenen Kirchenpräsidentinnen-Worte ein. Ich bin einfach wütend. Als Bürgerin und als Christin", schreibt Wüst auf Facebook. Aus wahltaktischen Erwägungen habe die Unions-Fraktion den Antrag eingebracht und die Zustimmung der AfD billigend in Kauf genommen. Wüst fordert eine humane Migrationspolitik. Die Vorlagen, die mit knapper Mehrheit den Bundestag passierten, würden die eigentlichen Probleme nicht lösen. Eine glaubwürdige Politik sei in Deutschland nötig, appellierte Wüst.
Kirchenpräsidentin Susanne bei der Wieden hat an die demokratischen Parteien appelliert, in der Migrationsdebatte Haltung zu bewahren. "Die Euroskeptiker treiben demokratische Politiker vor sich her und machen sie zu ihren Handlangern", sagte die leitende Theologin der Evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Und sie müssen es nicht einmal selbst umsetzen, weil es nun die Mitte unserer Politik in vorauseilendem Gehorsam selbst will." Die Debatte im Bundestag am Mittwoch, "insbesondere aber die hämische Freude der AfD-Fraktion" nach der Zustimmung zu den Entschließungsanträgen von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) sei ein Beweis für den Erfolg dieser Strategie, sagte die Theologin.
Bischof Gohl: "Nicht von Extremisten treiben lassen"
Eine kritische Bilanz zieht der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, nach der Abstimmung im Bundestag vom Mittwoch. Die Abstimmung habe "alle Parteien der demokratischen Mitte geschwächt. Das können wir uns nicht leisten", sagte Gohl laut einem am Donnerstag von der Landeskirche veröffentlichten Statement. Man dürfe sich nicht von Extremisten treiben lassen. Die Bundestagsdebatte habe das ganze Dilemma in der Frage gezeigt, wie man mit stimmenstarken extremistischen Parteien umgehen solle. Eine Diskussion zum Thema Migration hält Gohl gleichwohl für notwendig. "Wir müssen deutlich über Defizite in der Zuwanderung und Integration sprechen, dürfen aber nicht die notwendige Debatte auf dem Rücken der Schwächsten austragen", betonte er.
Der Landessuperintendent der lippischen Kirche, Dietmar Arends, zeigt sich "entsetzt" über die Abstimmung zur Migrationspolitik im Bundestag mithilfe von Stimmen der AfD. Das Vorgehen der Bundestagsfraktionen von CDU und CSU habe der Demokratie "schweren Schaden" zugefügt, erklärte Arends am Donnerstag in Detmold. "Dass dies geschieht in einem Jahr, in dem wir uns an das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland vor 80 Jahren erinnern, macht es noch unerträglicher." Das Geschehen lasse weitere Tabubrüche befürchten. In der Sendung "Morgenandacht - Gedanken zur Woche" des Deutschlandfunks spricht Pfarrer Stephan Krebs aus Langen zum Grundrecht auf Asyl und geht auf die Frage ein: Wer wollen wir sein?
EJB-Vorsitzender: "Das darf in unserem Land nicht zur Normalität werden."
Die Evangelische Jugend in Bayern kritisiert die geplante Abstimmung zum "Zustrombegrenzungsgesetz". CDU/CSU und FDP riskieren mit ihrer Kooperation mit rechtsextremen Kräften die Werte von Demokratie und Solidarität. "Dieser Schulterschluss erschreckt nicht nur, sondern gefährdet auch die Integrität unserer demokratischen Ordnung", sagt EJB-Vorsitzender Malte Scholz. "Dieses Gesetzespaket diskriminiert und schottet ab, statt Solidarität und Integration zu fördern. Das darf in unserem Land nicht zur Normalität werden." Der Jugendverband fordert eine menschenwürdige Asylpolitik, die auf Integration und Nächstenliebe statt auf politische Alleingänge und Abschottung setzt.
Vertreter von Kirche und Diakonie in Bayern sehen den verschärften Kurs in der Asylpolitik kritisch. "Das Recht, Asyl zu beantragen, ist ein Grundrecht, das kann man nicht mehr oder weniger restriktiv behandeln", sagte die Vorstandssprecherin der Diakonie München und Oberbayern, Andrea Betz, am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dass die Union bereit war, eine Mehrheit für den Antrag mit Stimmen der AfD in Kauf zu nehmen, war bei SPD und Grünen auf harsche Kritik gestoßen. Auch der bayerische Landesbischof Christian Kopp sagte am Donnerstag in München, er bedaure es, dass die Unionsanträge mit Stimmen der AfD durchgebracht wurden. Er sehe dazu "noch Gesprächsbedarf".
Landesbischof Kopp: "Wir sollten niemanden wählen, der den politischen Dialog aufheizt und andere schlechtmacht."
Für die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar forderte der bayerische evangelische Landesbischof Christian Kopp, "den Konsens der Demokratinnen und Demokraten" zu halten. "Wir sollten niemanden wählen, der den politischen Dialog aufheizt und andere schlechtmacht", sagte Kopp am Donnerstag im Münchner Presseclub: "Das macht die Demokratie kaputt." Er bedaure, dass am Vortag im Bundestag ein Unionsantrag mit Stimmen der AfD durchgebracht wurde. Weiter bewerten wollte der Landesbischof das Vorgehen aber nicht.
Kopp schliesst sich teilweise der ökumenischen Stellungnahme an, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz am Mittwoch veröffentlicht hatten. In dem Brandbrief kritisieren die Kirchen den Entwurf des "Zustrombegrenzungsgesetzes", der am Freitag im Bundestag abgestimmt wird. Der darin vorgesehene Stopp des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte verhindere für die Geflüchteten im Land "stabile Verhältnisse", die gerade traumatisierte Menschen dringend bräuchten, sagte Kopp.
Der Münchner Regionalbischof Thomas Prieto Peral hat an die demokratischen Parteien appelliert, das Gespräch miteinander zu suchen. "Rauft euch jetzt zusammen", forderte der Regionalbischof in einer Mitteilung mit Blick auf die geplante Abstimmung im Bundestag zum "Zustrombegrenzungsgesetz" am Freitag. Man laufe sonst Gefahr, "dass die demokratische Kultur ins Rutschen kommt", mahnte der Theologe. Erst am Mittwoch hatte das Parlament einen Antrag der CDU und CSU zur Zurückweisung von Geflüchteten an den Grenzen mit den Stimmen der AfD und FDP angenommen.
Der Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch hat dazu aufgefordert, das Grundgesetz und christliche Werte in der Migrationspolitik stärker zu berücksichtigen. Es sei entscheidend, die unveräußerliche Menschenwürde zu achten und diese ins Verhältnis zu den Problematiken in Deutschland zu setzen, sagte Schuch am Donnerstag dem Radiosender WDR 5. Er forderte die demokratischen Parteien dazu auf, "zur Sachlichkeit" zurückzukehren. Populistische Diskussionen und rechtskonforme Vorschläge seien nicht hilfreich. Der am Mittwochabend im Bundestag mit Stimmen von CDU, FDP und AfD verabschiedete "5-Punkte-Plan" bewertete Schuch als teilweise nicht rechtskonform.
Theologischer Vizepräsident Schlüter: "Vorgehen der CDU trägt zur gesellschaftlichen Spaltung und zum Unfrieden bei."
Der Theologische Vizepräsident der westfälischen Kirche, Ulf Schlüter, hat die für Freitag geplante Abstimmung über den Gesetzentwurf der Union für eine Verschärfung der Asylpolitik kritisiert. Wenn dieser Entwurf unterstützt von den Stimmen einer rechtsextremistisch orientierten Partei durchgesetzt werde, trage dieses Vorgehen zur gesellschaftlichen Spaltung und zum Unfrieden bei, erklärte Schlüter in Bielefeld. "Eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgerechnet in der Migrationspolitik ist ein verheerendes Signal an alle hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund." Für die demokratische Kultur sei dies "ein äußerst gefährlicher Tabubruch".
Tausende Menschen haben am Donnerstag bundesweit gegen den das gemeinsame Vorgehen der CDU mit der AfD in der Asyl- und Migrationspolitik protestiert. Vor der CDU-Bundesgeschäftsstelle in Berlin-Tiergarten versammelten sich am Donnerstagabend nach Polizeiangaben mindestens 6.000 Menschen, nach Angaben des bundesweiten Bündnisses "Zusammen gegen rechts" gab es am Donnerstagabend deutschlandweit in mehr als 50 Städten Kundgebungen und Demonstrationen. In Dresden hätten mehr als 2.500 Leute beim Wahlkampfauftakt von CDU-Chef Friedrich Merz protestiert.
Nach Angaben des Aktionsbündnisses "Widersetzen" sind auch in den kommenden Tagen Proteste und Kundgebungen in vielen Städten geplant.
Umfragemeinung: "Vorschlag grundsätzlicher Zurückweisungen gehe in die richtige Richtung."
Eine Mehrheit der Deutschen einer Umfrage zufolge für richtig, Menschen ohne gültige Einreisepapiere den Zutritt nach Deutschland grundsätzlich zu verwehren. 57 Prozent der Befragten seien der Meinung, der Vorschlag grundsätzlicher Zurückweisungen gehe in die richtige Richtung, auch wenn die Menschen Asyl beantragen wollten, ergab der am Donnerstag vom WDR veröffentlichte "ARD-Deutschlandtrend". Für die repräsentative Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap den Angaben zufolge 1.336 Wahlberechtigte vom 27. bis 29. Januar befragt. Der größte Teil der Befragung habe stattgefunden, bevor der Bundestag am Mittwoch mit knapper Mehrheit und Stimmen der AfD dem umstrittenen CDU/CSU-Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik zugestimmt hatte, hieß es.
Zum zweiten Mal in dieser Woche soll der Bundestag am Freitag über eine Initiative der oppositionellen Unionsfraktion zur Verschärfung der Asylpolitik abstimmen. Auf der Tagesordnung steht der Entwurf für ein Gesetz, das unter anderem einen Stopp des Kontingents für den Familiennachzug zu Flüchtlingen mit bestimmtem Schutzstatus vorsieht. 12.000 Plätze sieht das Kontingent pro Jahr vor. PRO ASYL fordert die Abgeordneten auf, den Gesetzentwurf abzulehnen, mit dem die CDU am heutigen Freitag im Bundestag den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte abschaffen will. Eine Mahnwache um 10 Uhr vor dem Bundestag unterstreicht diese Forderung. Die FDP will die Bundestagsabstimmung über den Gesetzentwurf der Union für eine Verschärfung der Asylpolitik verschieben.