14. September 2024, gegen 22.10 Uhr: Da steht er hoch oben unter dem Hallendach des PSD Bank Domes in Düsseldorf. Bis zu acht Millionen Zuschauende sehen im Fernsehen zu, wie eine ganz in weiß gekleidete Gestalt unter tosendem Lärm des Hallen-Publikums die ewig lange Treppe herunterschreitet - Stefan Raab. stern.de bietet in der Nachberichterstattung "Das Comeback in Bildern" an und untertitelt: "Viel Glitzer, viel Feuerwerk: Raab lässt sich feiern wie ein Messias." Und nicht nur stern.de, viele Medien ziehen am Tag danach diesen Vergleich - wie ein Messias. Als Raab nach seinem langen Weg die Showtreppe herunter unten ankommt, hämmert die Band los: Der Entertainer singt "Pa aufs Maul". Schließlich steigt er in den Ring, übersteht keuchend und ächzend sechs Runden gegen die deutlich kleinere, aber sportlich weit überlegene ehemalige Boxweltmeisterin Regina Halmich und verliert verdient nach Punkten. Den Wettbewerb um Interesse und Aufmerksamkeit aber hat er zusammen mit dem übertragenden Sender RTL an diesem Samstag abend klar für sich entschieden – die Quote spricht für sich. Dabei wirken die Botschaft, die Raab mit seinem Song und seinen zum Teil diskriminierenden Sprüchen vermittelt, wie Boxschläge in die Vorstellung eines christlichen Menschenbilds. Von wegen Messias.
"Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott" (Micha 6,8) Die Liedzeile "Pa aufs Maul" widerspricht offensichtlich der göttlichen Forderung, Liebe zu üben. Was das bedeutet, wissen wir dagegen von Jesus Christus. Ihm haben wir die Übersetzung, ja die Erklärung göttlicher Gebote zu verdanken. Für unser Seelenheil und zur Orientierung in unsererem Alltag sei einmal fett unterstrichen: Es kann nur einen geben! Jesus Christus, der eingeborene Sohn Gottes, hat als Messias unter uns gelebt, nicht irgendein anderer Mensch. Kein Kaiser, kein Regierungschef, kein Multimiliardär, kein Kandidat für die Präsidentschaft in den USA und sicher auch kein Entertainer im Showbusiness. Selig sind, so hat es uns Jesus in der Bergpredigt (Matthäus 5) gelehrt, unter anderem die Sanftmütigen, die Menschen, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, die Barmherzigen, die Menschen, die reinen Herzens sind und die Frieden stiften. Das ist ein Orientierungsmaßstab! Es sind deutliche Hinweise, was wir unter einem christlichen Menschenbild verstehen können. Die Messlatte, die wir für alle Grundsatzentscheidungen in unserem Leben anlegen dürfen, auch für die Kreuzchen, die wir in Wahlkabinen machen, lässt sich an den in der Bergpredigt dargelegten Prinzipien kalibrieren. Auch die von Paulus in seinem Hohelied der Liebe besungene Hommage an die Liebe bietet Orientierung. Mit dem Fazit: "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen" (1. Korinther 13,13).
Aber, Realitäts- und Faktencheck! Können Glaube, Hoffnung, Liebe wirklich zum Maßstab für unser Leben im 21. Jahrhundert und für unsere Lebensentscheidungen heute werden? Oder ist die Orientierung am christlichen Menschenbild nur eine hübsche Utopie aus längst vergangenen Zeiten?
Peter Kloeppel, der deutsche Journalist und Fernsehmoderator, der seit 1992 die Hauptnachrichten von RTL um 18.45 Uhr präsentiert hat, gibt darauf eine Antwort. 2024 hat er nach 32 Jahren Abschied von Nachrichtenstudio und Mikrophon genommen und ist in den Ruhestand gegangen. Er wurde unter anderem für seine Moderation im Zusammenhang mit dem terroristischen Anschlag auf das World Trade Center am 9. September 2001 in New York mit dem Grimme Preis ausgezeichnet, 2024 erhielt er den Sonderpreis des Robert Geisendörfer Preises, dem evangelischen Medienpreis, für sein Lebenswerk. Aus diesem Anlass hat der Branchendienst des Evangelischen Pressedienstes, epd medien, ein Interview mit Kloeppel geführt, in dem zum Abschluss die Frage gestellt wird, welche Rolle seiner Meinung nach Evangelische Publizistik heute und in Zukunft in der Gesellschaft spielen solle. Kloeppel antwortet unter anderem: "Evangelische Publizistik hatte schon immer einen hohen Stellenwert. Das christliche Menschenbild darf meines Erachtens auch in der medialen Darstellung nicht an den Rand gedrängt werden in einer Welt, die sich zunehmend entfernt von Werten wie Mitmenschlichkeit, Fürsorge und Zuversicht sowie der Bereitschaft, einander zuzuhören und unsere natürlichen wie auch ethischen Lebensgrundlagen zu erhalten. Je lauter und wahrnehmbarer in der breiten Öffentlichkeit diese publizistische Stimme ist, desto besser."
Also: Ist die Orientierung am christlichen Menschenbild für unser Leben konkret wichtig oder nur eine hübsche Utopie? Peter Kloeppel gibt eine klare Antwort, aber auch das kann wiederum nur eine Orientierung sein. Letztlich muss jede und jeder von uns darauf selbst eine Antwort finden. In demokratischen Systemen stehen wir auch in Glaubens- und Religionsfragen immer wieder vor Wahl- und Entscheidungsoptionen – im Gegensatz zu autoritären Systemen.
Wenn wir uns in aller Freiheit in Orientierung am christlichen Menschenbild entscheiden wollen, benötigen wir erstens Kenntnisse des christlichen Glaubens – die für alle zugängliche Bibel bietet dafür ebenso eine Grundlage wie die Gottesdienste in den christlichen Kirchen, aber auch die zahlreichen Andachts- und Gottesdienstangebote in Funk und Fernsehen. Und zweitens brauchen wir aktuelle, sachliche Informationen, die uns im Idealfall durch die Vielfalt der Medien geboten werden – auf den Ebenen Online, Funk, Fernsehen, Print etc. Dabei spielt die Evangelische Publizistik eine wichtige Rolle.
Kirchenpräsident i.R. Dr. Dr. h.c. Volker Jung, der von 2015 bis 2024 als Aufsichtsratsvorsitzender im Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), gewirkt hat, formuliert es so: "Evangelische Publizistik ist ein evangelischer Beitrag zur Gestaltung einer demokratischen, gerechten, nachhaltigen und friedlichen Gesellschaft". Ein Beitrag in einer im besten Fall gut sortierten Medienlandschaft mit einem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gut ausgestatteten Qualitätsmedien mit überregionalen, regionalen und lokalen Zeitungen und Zeitschriften, dem privaten Rundfunk mit Hörfunk und Fernsehen, mit frei zugänglichen sozialen Medien, die sich an Regeln von Wahrhaftigkeit und Würde halten sowie hochwertigen Online-Angeboten in Video, Audio und Print. In Deutschland steht uns ein exzellentes Medienangebot zur Verfügung, noch. Nicht als Utopie, sondern als konkrete Grundlage. So können wir eine Vorstellung von einem christlichen Menschenbild bekommen, und so werden Sätze wie der von der deutschen Olympiasiegerin im Kugelstoßen Yemisi Ogunleye, den sie in einem ARD-Interview gesagt hat, gut verständlich. So verständlich, dass wir daraus Hoffnung ziehen können. Ogunleye gibt uns mit auf den Weg: "Egal, was kommt, ich bin geliebt."
Jörg Bollmann war bis zu seinem Eintritt in den Altersruhestand von 2002 bis 2024 Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Pubizistik (GEP) gGmbH und damit auch Geschäftsführer von evangelisch.de. In seinem Beitrag nutzt er Auszüge aus seinem im Januar in der Evangelischen Verlagsanstalt (edition chrismon) erschienenen Buch "20 Meter für die Ewigkeit", in dem er unter Bezug auf den Olympiasieg der Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye aus der Perspektive des evangelischen Publizisten, Moderators, Redakteurs im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Sportreporters grundsätzlichen Fragen zum gesellschaftlichen Zusammenleben nachspürt.