Schwerbehindert und arbeiten? Na klar!

In der Küche helfen mit: Yasemin, Arbeitserzieher Stefan und Jasmin.
epd-bild/Susanne Lohse
Yasemin und Jasmin in der Küche des Inklusions-Cafés "Ein Stück vom Glück". Arbeitserzieher Stefan hilft ihnen.
Innovatives Inklusions-Café
Schwerbehindert und arbeiten? Na klar!
Neue Wege gehen Eltern Behinderter im Kreis Karlsruhe. Weil sie sich nicht damit abfinden wollten, dass Inklusion nach der Schulzeit endet, gründeten sie ein Café, das Begegnung behinderter mit nicht behinderten Menschen ermöglicht.

Vorsichtig balanciert Christina die Tasse Cappuccino und bringt sie den Gästen. Beim Besuch im Inklusions-Café "Ein Stück vom Glück" in Oberderdingen-Flehingen (Kreis Karlsruhe) hat die 28-Jährige gerade Dienst im Service. Das Projekt der Elterninitiative "Mühlwerk Sinneswandel" beschäftigt Menschen mit schweren Behinderungen wie Christina.

Inklusion ende für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf in der Regel nach Ende der Schulzeit, erklärt die Mitbegründerin der Elterninitiative, Manuela Rominski, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Danach landen sie im Nichts. Das ist ein gravierender Einschnitt", sagt die Mutter einer schwer behinderten Tochter.

Das neu gebaute Café am Kraichgau-Radweg bietet sechs Plätze für Menschen mit schwerer Behinderung. Ihre Aufgaben sind angepasst an ihre Fähigkeiten. In der Küche schnippeln sie Obst und Gemüse fürs Frühstück, im Wäscheraum falten sie Handtücher, sie befüllen den Getränkekühlschrank und im Gastraum wischen sie die Tische ab und richten die Blumen.

"Wichtig in der täglichen Arbeit ist die Loslösung vom Defizit des Einzelnen", erklärt Rominski das Beschäftigungskonzept. Der Personalschlüssel aus Betreuern und behinderten Menschen beträgt 1:2. So ermuntert der Arbeitserzieher Stefan gerade Yasemin zur Mithilfe in der Küche, während Ergotherapeutin Sabine Daun Christina beim Service begleitet. Die Fäden in der Hand hält Anette Plapp. Als Caféleitung kümmert sie sich um den Einkauf, die Zusammenarbeit mit der Konditorin und die Theke. "Mich hat die Kombination aus Café und Arbeit mit Menschen mit Behinderung fasziniert", sagt sie. "Ein Stück vom Glück" sei kein Sozialcafé, darauf legen die Organisatorinnen Wert. Hier begegnen sich Menschen mit und ohne Behinderung auf Augenhöhe. Die Gäste tolerierten, dass die Bedienung etwas länger dauere, beobachtet Plapp. In zwangloser Atmosphäre erfahren sie, was Behinderung bedeutet und doch kann: die jungen Erwachsenen blühen auf, wenn sie Kaffee, Torte oder Frühstück servieren dürfen.

Wen fängt das soziale Hilfenetz auf?

"Jasmin kann alles, braucht aber Unterstützung", beschreibt Rominski die Behinderung ihrer Tochter durch einen Gendefekt. Menschen wie Jasmin, Christina und Yasemin fallen sprichwörtlich durch das soziale Hilfenetz. Sie sind zwar nicht schwerst-mehrfach behindert und somit pflegebedürftig, können aber ohne Hilfe keine Aufgaben übernehmen.

Denn selbst wer in einer der Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten will, muss laut Bundesteilhabegesetz (BTHG) "ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen" (BTHG, Sozialgesetzbuch IX §219, 2). "Damit werden sie sogar aus der Gruppe der Menschen mit Behinderung ausgeschlossen", sagt Rominski. Die Vorstellung, dass die Tochter nur noch mit Schwerstbehinderten zu tun haben sollte, sei für sie als Eltern "ganz schlimm" gewesen. Sie und drei weitere Elternpaare wollten sich nicht damit abfinden. So entstand 2017 die Idee für das Inklusions-Café.

Für ihr einzigartiges Projekt erhielt "Mühlwerk Sinneswandel" vom Evangelischen Fachverband für Teilhabe in Berlin den MitMenschPreis 2024. Die Initiative ist außerdem Preisträgerin des #PariEngage-Innovationspreises für herausragendes gesellschaftliches Engagement des Paritätischen Baden-Württemberg (Stuttgart). Der Preis unter der Schirmherrschaft von Sozialminister Manne Lucha (Grüne) wurde anlässlich des 75-jährigen Jubiläums Wohlfahrtsverbandes erstmals vergeben.

Finanziert wurde das 1,6 Millionen Euro teure Projekt aus Spenden und Fördermitteln des Landes Baden-Württemberg. Die Idee, eine Beschäftigung für Menschen mit schweren Behinderungen zu schaffen, geht auf. Gerade leuchtet auf einem Tisch eine Tischlampe, das Zeichen für Christina, abzuräumen. Die Arbeit erfüllt nicht nur sie mit Sinn.