TV-Tipp: "Weißt du noch"

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10. Januar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Weißt du noch"
"Weißt du noch" ist 2023 kurz im Kino gelaufen. Marianne und Günter, beide um die achtzig, ziehen am Hochzeitstag Bilanz. Die bisherigen Rentenjahre sind offenkundig völlig anders verlaufen, als zumindest sie sich das vorgestellt hat: Das Drama nimmt seinen Lauf.

"Vom Glück der Liebe, der Ehe und des Erinnerns" hieß die erste Folge einer 1997 ausgestrahlten ARD-Reihe mit überarbeiteten Loriot-Sketchen. Darin enthalten war auch jener unvergessene Trickfilm, dem der geniale Humorist zwanzig Jahre zuvor den schlichten Titel "Feierabend" gegeben hatte. Er zeigt einen mutmaßlich typischen Moment aus dem Eheleben von Berta und Hermann: Sie kann nicht verstehen, dass er "einfach nur hier sitzen" will und macht ihm verschiedene Vorschläge, wie er seine Zeit besser nutzen könnte, bis ihm schließlich der Kragen platzt. Ob Martin Rauhaus diese Szene vor Augen hatte, als er die Idee zu "Weißt du noch" hatte, ist nicht überliefert, aber die Parallelen sind offenkundig. 

Sein Drama behandelt ein Thema, um das sich schon einige Freitagsfilme im "Ersten" rankten, wenn auch zumeist mit Paaren, die erst am Beginn ihres Lebensabends standen: Marianne und Günter, beide um die achtzig, nutzen einen Hochzeitstag, um Bilanz zu ziehen. Die bisherigen Rentenjahre sind offenkundig völlig anders verlaufen, als zumindest sie sich das vorgestellt hat: Marianne ist unternehmungslustig, pflegt viele soziale Kontakte und würde gern regelmäßig verreisen, Günter ist eindeutig der Typ "einfach nur hier sitzen". Ihre Verbitterung äußert sich in mehr oder minder subtilen Giftpfeilen, für die er sich natürlich umgehend revanchiert, und so mündet jedes Gespräch unweigerlich in gegenseitige Vorwürfe. 

"Weißt du noch" ist 2023 kurz im Kino gelaufen, gehört aber ins Fernsehen und würde wohl auch als Bühnenstück funktionieren: Die Handlung trägt sich abgesehen vom Prolog praktisch ausschließlich im Haus des Paars zu und besteht größtenteils aus Dialogen, die allerdings ein Genuss sind; Rauhaus hat für sein Drehbuch den Bayerischen Filmpreis bekommen.

Ein nahezu neunzigminütiger Wortwechsel kann zwar trotzdem auch mal ermüden, aber nicht mit Senta Berger und Günther Maria Halmer. Die beiden sind dank diverser gemeinsamer Projekte ohnehin ein eingespieltes Team; bis auf eine Ausnahme haben sie in ihren früheren Filmen jedes Mal ein Ehepaar gespielt. Auch deshalb stellt der erste Akt die Geduld des Publikums auf eine echte Probe: Was sich Marianne und Günter an den Kopf werfen, wirkt so lebensnah, dass es fast weh tut. Sie hält ihm wiederholt seine angebliche Schwerhörigkeit und seine zunehmende Vergesslichkeit vor, er unterzieht sie einem Demenztest, bei dem sie prompt gewisse Schwächen zeigt. Man muss nicht im Alter Bergers (Jahrgang 1941) und Halmers (1943) sein, um sich zu denken: "Puh, das hab’ im Alltag schon zur Genüge, das will ich mir nicht auch noch zum Zeitvertreib antun."

Bis zu Minute dreißig entspricht die Erzählung vielen vergleichbaren Dramen, aber als Marianne zum Beweis für Günters nachlassendes Gedächtnis den vermeintlich vergessenen Hochzeitstag erwähnt, zückt er seine Überraschung: Freund Heinz (Konstantin Wecker) hat ihm zwei unscheinbare und in Deutschland noch nicht zugelassene Tabletten gegeben. Dabei handelt es sich jedoch weder um ein Mittel zur Potenzsteigerung noch um eine Einladung zum gemeinsamen Suizid, wie Marianne kurz glaubt, sondern um Wunderpillen, die verschüttete Erinnerungen wecken.

Tatsächlich verbringt das Paar den Rest des Abends damit, in der Vergangenheit zu schwelgen, und frischt seine unter all’ dem täglichen Gezanke verborgenen Gefühle füreinander auf; Kaufmann bebildert diese Momente mit privaten Super-8-Aufnahmen aus der Jugend Bergers und Halmers. Heinz hatte allerdings schon angekündigt, dass die Wirkung der Pillen zwar überwältigend, aber nicht von Dauer sei, weshalb die gerade erst wiedergefundene Liebe ebenso wie die geschmiedeten Reisepläne tags drauf wieder verschwunden sind. 

Zwischendurch schaut mal ein launiger Fernsehtechniker vorbei, aber ansonsten konzentriert sich das Drehbuch ausschließlich auf Marianne und Günter. Dass "Weißt du noch" dennoch nicht wie ein Kammerspiel wirkt, hat vor allem mit der Umsetzung zu tun: Regisseur Rainer Kaufmann und Kameramann Martin Farkas lassen den beiden Hauptfiguren genug Raum, um sich zu entfalten. Kaufmann ist ohnehin ein kongenialer Partner für Rauhaus. Ganz famos und darstellerisch gleichfalls herausragend war zum Beispiel "Ein starker Abgang" (2008) mit Bruno Ganz als Menschenfeind. Nicht minder sehenswert war "Und wer nimmt den Hund?" mit Martina Gedeck und Ulrich Tukur als Ehepaar, das ebenfalls Bilanz zieht. Im Gegensatz zu diesen Tragikomödien ist "Weißt du noch" jedoch nicht lustig; aber das war der Loriot-Sketch im Grunde auch nicht.