Die bayerische evangelische Theologin Gudrun Diestel ist tot. Sie war die erste Bayerin, die zur Oberkirchenrätin im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) berufen wurde. Als Frau in der Kirche hat Diestel einigen Pionierinnendienst geleistet. "Wir sind dankbar für ihren großen Einsatz insbesondere für die Ordination von Frauen sowie für ihr segensreiches Wirken für unsere Kirche", sagt der Präsident des Kirchenamts der EKD, Hans Ulrich Anke, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Laut Anke fiel Diestels Tätigkeit "in die Aufbruchszeit der Neuen Frauenbewegung, die zunehmend auch die evangelische Kirche erfasste". Die Frauenbewegung habe 1989 in die "bahnbrechenden Beschlüsse der Synode von Bad Krozingen zur Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche" gemündet, sagte Anke dem epd. In ihrer Zeit im Kirchenamt habe Diestel "mit Nachdruck dazu beigetragen, dass Fragen der Geschlechtergerechtigkeit nicht mehr kleingeredet, sondern zu einem gesamtkirchlich bedeutsamen Thema wurden".
Geboren wurde Gudrun Diestel am 6. Januar 1929 als Tochter von Max Diestel, der damals Superintendent des Berliner Kirchenkreises Kölln-Land I und Pfarrer der Paulusgemeinde in Berlin-Lichterfelde war. Im Nationalsozialismus sei dies der kirchenpolitisch "widerständigste Kirchenkreis" gewesen, sagte Ruhestandspfarrer Martin Ost dem epd. Max Diestel war sehr aktiv in der Bekennenden Kirche.
1955 beendete Gudrun Diestel ihr Theologiestudium. Nach einem Studienjahr in England war sie zunächst beim Bayerischen Mütterdienst in Stein bei Nürnberg tätig. 1966 wurde sie in Bayern zur Pfarrvikarin eingesegnet - denn erst ab 1975 konnten dort Frauen zur Pfarrerin ordiniert werden. Diestel bewarb sich bei der EKD in Hannover und wurde 1974 als eine der ersten Frauen zur Oberkirchenrätin berufen. Dort wurde die Einsegnung als Pfarrvikarin laut bayerischer evangelischer Landeskirche dann auch als Ordination anerkannt. Als Oberkirchenrätin war Diestel zuständig für Gemeindearbeit, Seelsorge - insbesondere im Strafvollzug - und für Fragen zur Situation der Frauen in Kirchen und Gesellschaft.
Sie engagierte sich stark für ökumenische Zusammenarbeit und befasste sich als Vorsitzende der Kommission für Weltdienst im Lutherischen Weltbund mit Flüchtlings- und Katastrophenhilfe. Gemeinsam mit dem Frauenreferat des Weltkirchenrats initiierte sie 1975 eine internationale Konferenz "Sexism in the 70s" (englisch für: Sexismus in den 70ern), die laut Landeskirche einen Durchbruch bei der Zusammenarbeit von Frauen und Männern in den Kirchen brachte. In Bayern gehörte Diestel zu den engagierten Theologinnen, die sich für die Einführung der Frauenordination einsetzten. Sie war zwischen 1961 und 1974 Mitglied der beratenden Ausschüsse zur Neuordnung des Dienstrechts der Theologinnen in Bayern. 2012 wurde Diestel das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.
Seit den 1990er-Jahren lebte Diestel, die unverheiratet blieb, in München. Sie sei "sehr freundlich und sehr bestimmt" gewesen und habe stets eine "Ausgewogenheit zwischen Nähe und Distanz" gepflegt, beschreibt sie Martin Ost. Der frühere Dekan aus dem unterfränkischen Markt Einersheim, der seit seinem Renteneintritt in Berlin lebt, hat eine Biografie über Max Diestel verfasst und stand Gudrun Diestel nah.