Berlin (epd). Mit einer Schweigeminute hat der Bundesrat an die von den Nationalsozialisten verfolgten Sinti, Roma und Jenischen erinnert. In einer Ansprache rief Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) dazu auf, gemeinsam dafür zu kämpfen, dass die Verbrechen der Vergangenheit nicht vergessen werden und Menschenrechte heute geachtet und geschützt werden. Auch heute lösten Übergriffe auf die Minderheit große Sorgen aus, sagte die saarländische Ministerpräsidentin. Derweil fordert die Gruppe der Jenischen die Anerkennung als nationale Minderheit.
Der Bundesrat erinnert traditionell in seiner Sitzung vor Weihnachten an die in der NS-Zeit verfolgten Sinti, Roma und Jenischen. Der vom Reichsführer SS Heinrich Himmler unterzeichnete „Auschwitz-Erlass“ vom 16. Dezember 1942 war die Grundlage für die Deportation von Sinti und Roma aus ganz Europa in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Hunderttausende von ihnen wurden während des Holocaust ermordet.
Sprache, Kultur und Identität der Minderheiten seien von den Nationalsozialisten unterdrückt und zu vernichten versucht worden, sagte Rehlinger. Auch heute erführen Sinti, Roma und Jenische Diskriminierung. Die Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung müsse ein Ende haben, sagte sie zu Beginn der Sitzung der Länderkammer in Berlin. Vertreterinnen und Vertreter der Roma, Sinti und Jenischen nahmen an dem Gedenken im Bundesrat teil.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Jenischen in Deutschland, Renaldo Schwarzenberger, forderte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) die Anerkennung seines Volks als nationale Minderheit. Schwarzenberger sagte, die Bundesregierung müsse ihre Position korrigieren. Sie verhalte sich gegenüber den Jenischen diskriminierend. Das Bundesinnenministerium sieht die Kriterien für die Anerkennung der Jenischen als nationale Minderheit nicht erfüllt. Es fanden aber Gespräche mit Vertretern der Jenischen statt.
Die Jenischen sind eine ethnische Minderheit, die seit dem frühen Mittelalter in Europa beheimatet ist. Sie lebten als Fahrende wie Roma und Sinti, sind aber heute - anders als diese - kaum bekannt. Nach Angaben ihres Zentralrats leben schätzungsweise 200.000 Jenische in Deutschland. Von den Nationalsozialisten wurden die Jenischen als „Asoziale“ verfolgt, interniert und in Psychiatrien und Konzentrationslagern ermordet. „Diese Geschichten sind noch nicht aufgeschrieben“, sagte Schwarzenberger dem epd: „Wir kämpfen auch um die Aufarbeitung.“ In seiner eigenen Familie gebe es sieben Opfer, alle seien als „Asoziale“ klassifiziert worden.
Schwarzenberger warf der Politik vor, in der Debatte über die Anerkennung der Jenischen als nationale Minderheit neue Erkenntnisse zu ignorieren. Dazu zählten Forschungen über das Jenische als eine eigene Sprache - eines der Kriterien für die Anerkennung einer nationalen Minderheit. „Wir haben eine eigene Sprache und eine eigene Kultur. Wir wollen sie erhalten, und wir wollen, dass unsere Sprache und unsere Geschichte sichtbar werden“, sagte Schwarzenberger.
Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland, Mehmet Daimagüler, sagte dem epd, er habe großes Verständnis für das Anliegen der Jenischen. Unabhängig davon, ob sie als Minderheit anerkannt würden, hätten sie Anspruch auf staatliche Unterstützung im Kampf gegen Diskriminierung und Ausgrenzung, sagte Daimagüler.
In Deutschland sind neben den deutschen Sinti und Roma die Friesen und die Sorben als nationale Minderheiten anerkannt. Kriterien sind die deutsche Staatsbürgerschaft, eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte sowie die Pflege dieser eigenen Identität.