TV-Tipp: "Tatort: Man stirbt nur zweimal"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
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15. Dezember, ARD, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Tatort: Man stirbt nur zweimal"
Die drastische Vorführung erzielt die erhoffte Wirkung: Um zu demonstrieren, zu welchen Mitteln Menschen bereit sind, wenn sie eine Versicherung betrügen wollen, hackt sich Karl-Friedrich Boerne kurzerhand ein paar Finger ab.

Mit dieser Einführung gibt Sascha Arango bei seiner Premiere für den "Tatort" aus Münster schon früh einen ersten Trumpf preis, denn parallel zu den Ausführungen des Rechtsmediziners zeigt der Film eine Urteilsverkündung: Ein Versicherungskonzern muss einer Witwe 3,5 Millionen Euro zahlen, nebst Zinsen. Der Anwalt bringt seine Mandantin nach Hause. Weil sie was im Auto vergessen hat, geht er ihr nach und wird Zeuge, wie sie mit dem vermeintlich verblichenen Gatten auf den Reichtum anstößt; prompt folgt ein echter Todesfall. 

Einerseits ist es bedauerlich, dass Arango die Katze so früh aus dem Sack lässt, andererseits kann sich der Autor das leisten, denn er hat noch weitere Trümpfe im Ärmel, die er mit großen Vergnügen ausspielt. Der "Tatort" aus Münster ist auch nach über zwanzig Jahren immer wieder für Überraschungen gut, selbst wenn die Gratwanderung zwischen Krimi und Komödie nicht jedes Mal gelingt, aber "Man stirbt nur zweimal", Fall Nummer 46 für Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und seinen Freundfeind Boerne (Jan Josef Liefers), gehört zu den besten Episoden. Das liegt neben dem vorzüglichen Drehbuch auch an der durchgehend guten Umsetzung. 

Die erste Arbeit von Regisseurin Janis Rebecca Rattenni mit dem Duo, "Ein Freund, ein guter Freund" (2022), litt nach einer fesselnden ersten Hälfte unter einem fatalen Spannungsabfall. Davon kann diesmal keine Rede sein, zumal Buch und Regie immer wieder für verblüffende Momente sorgen: Gerade noch saßen Thiel und Boerne einträchtig im Wohnzimmer des Polizisten, da steht die Couch plötzlich auf dem großzügigen Anwesen des Ehepaars Prätorius; die beiden schauen dabei zu, wie Doreen (Cordelia Wege), die lustige Witwe, die Leiche ihres Mannes im Garten vergräbt. Der tote Jonas (Christian Erdmann) schlägt die Augen auf und teilt dem Ermittlerduo mit, seine Frau sei zu allem fähig. Zu den cleveren Details des Drehbuchs gehört auch eine Videobotschaft des Mannes aus Südamerika, die einen akustischen Fehler enthält. Zunächst ist Boerne allerdings überzeugt, dass Doreen den Gatten auf dem Gewissen hat; der von der Dame sichtlich beeindruckte Prahl kann und will das jedoch bis zum Schluss nicht glauben.

Endgültig zu einem sehenswerten Film wird "Man stirbt nur zweimal" durch den Rahmen, in den Arango die Handlung bettet: Die eindrucksvolle Prätorius-Villa bietet ein kunterbuntes Sammelsurium an indigenen Artefakten und Kunstwerken aus aller Welt. Der Hausherr war ein passionierter Hobbyarchäologe und hat seine Frau mit entsprechenden Mitbringseln erfreut, weshalb Thiel ihn respektlos als "Jäger des verlorenen Gedöns" bezeichnet. Als der Kommissar der erschütterten Witwe nach dem Tod ihres Anwalts (Nils Brunkhorst), der sie angeblich vergewaltigen wollte und beim Sturz von der Empore vom emporgereckten Speer einer Kriegerskulptur aufgespießt wurde, tröstlichen Beistand leistet und auf ihrem Sofa übernachtet, sorgt Victor Voß dafür, dass die Masken an der Wand nachvollziehbar bedrohlich aussehen; der Kameramann war auch bei Rattennis früheren Filmen für die Bildgestaltung verantwortlich. Gerade seine Lichtsetzung ist diesmal sehr sehenswert. Die kräftigen Farben in der Villa passen gut zu den Frühlingsblumen im Garten und bilden einen reizvollen Kontrast zur düsteren Geschichte. Viele Übergänge sind kunstvoll, die Musik (Michael Klubertanz) ist ebenfalls ausgezeichnet.

Dennoch ist das Drehbuch von Grimme-Preisträger Arango die Basis für die herausragende Qualität des Films. Plausibel ist vor allem die früh verratene Betrugsmasche: Jonas Prätorius ist laut Legende vor knapp drei Jahren bei einer Expedition am Amazonas verschollen und schließlich für tot erklärt worden. In Wirklichkeit lebt er seither im Keller des Hauses, von dort hat er dank diverser Überwachungskameras alles im Blick; der Zugang zum Untergeschoss ist raffiniert versteckt. Prellungen im Gesicht Doreens und Würgemale am Hals lassen die Mär vom übergriffigen Anwalt glaubwürdig wirken. Weil zumindest im TV-Krimi kein Verbrechen wirklich perfekt ist, stolpern Thiel und Boerne zwar über die eine oder andere Ungereimtheit, aber da sie gegen Ende in einer tödlichen Falle landen, spielt das keine Rolle mehr. Seinen besten Trumpf spielt Arango mit dem grimmigen Schluss aus: Die letzte Pointe schreibt der Tod.