Der Titel ist, beim Wort genommen, irreführend: Es gibt zwar Tote in diesem Krimi, und zu Beginn wird auch geschossen, aber "Schuss ins Herz" ist eher bildlich zu verstehen.
Vordergründig geht es um die Aufklärung eines Mordes, den angeblich ein junger Hacker begangen hat, doch der 21. "Zürich-Krimi" handelt vor allem von einer familiären Tragödie: Hans Gessler (Stephan Kampwirth) stellt mit seinem Unternehmen Waffen her. Aktuell bewirbt er sich um den größten Auftrag in der Historie des von seinem Vater gegründeten Unternehmens: Die Kantonspolizei braucht neue Handfeuerwaffen. Käme der Deal zustande, würden sich weitere Kantone anschließen. Dabei geht es nicht nur um 15 Millionen Franken: Die Firma würde enorm an Reputation gewinnen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Gessler hat beim Vertragspoker gute Karten, aber natürlich ist auch die Konkurrenz scharf auf den lukrativen Vertrag. Als die Ausschreibungsdaten bei einem Einbruch ins Haus der Familie kopiert werden, droht das Geschäft zu platzen: Wenn die Mitbewerber Einsicht in sein Angebot bekommen, können sie ihn unterbieten.
Auf dieser wirtschaftskriminalistischen Basis entwickeln Wolf Jakoby, Robert Hummel (Buch) und Roland Suso Richter (Regie) eine Geschichte, die zunächst jedoch ganz anders beginnt. Erst später stellt sich raus, was während des als Thriller inszenierten knapp drei Minuten kurzen Prologs tatsächlich passiert ist: Gangster haben Gesslers Sohn entführt, sie wollen den jungen Mann gegen eine Waffenlieferung eintauschen. Der Vater hat die Polizei eingeschaltet, doch die Befreiungsaktion geht schief, die Mutter nimmt sich kurz darauf aus Kummer mit einer Überdosis Tabletten das Leben; so haben es zumindest die Medien berichtet.
In Wirklichkeit war alles noch viel schlimmer, doch diese tragische Pointe hebt sich das Drehbuch für den Schluss auf. Die eigentliche Handlung setzt 15 Monate nach dem Auftakt ein. Der Alltag der Gesslers hat sich weitgehend normalisiert, soweit sich das überhaupt sagen lässt: Tochter Zoe (Carla Hüttermann) hat einen eigenen Bodyguard (Anton Rubtsov), der sie wie eine Nanny auf Schritt und Tritt begleitet. Kein Wunder, dass sich die Studentin nach einem ganz gewöhnlichen Leben sehnt. Mit dem Metier ihres Vaters hat sie ohnehin ein erhebliches Problem.
Klugerweise haben Buch und Regie darauf verzichtet, den Mann zu dämonisieren: Gessler ist ein durchaus liebevoller Vater, selbst wenn er nur wenig Zeit für die Tochter hat. In seine Rolle ist offenbar mehr und mehr Personenschützer Marcel geschlüpft. Umso härter trifft Zoe der Verlust auch dieser Bezugsperson: Als sie plötzlich einer Gestalt gegenübersteht, kann sie sich in den Panikraum retten.
Marcel hat die Person bis ins Clubgebäude der Zürcher Hackerszene verfolgt und ist dort erschlagen worden. Für Hauptmann Furrer (Pierre Kiwitt) ist der Fall klar: Daniel (Jonathan Lade), Mitglied einer Gruppe, die im Internet "Schweinefirmen an den Pranger" stellt, ist ins Haus eingedrungen und hat sich über Gesslers Computer Zugang zum Firmennetzwerk verschafft, um auf diese Weise an das Vertragsangebot zu gelangen.
Anwalt Borchert (Christian Kohlund) und seine Partnerin (Ina Paule Klinik) kommen ins Spiel, weil Dominique den jungen Mann schon des Öfteren pro bono vertreten hat; von ihr stammt auch die Formulierung mit den "Schweinefirmen". Dass sich Daniel die Daten verschafft hat, passt ins Bild, aber er ist sicher kein Mörder.
Die Juristin glaubt, dass er zum Sündenbock gemacht werden soll, und will ihn "aus der Schusslinie nehmen"; ein treffendes Bild in diesem Zusammenhang. Der Datenträger, auf den Daniel die Unterlagen kopiert hat, ist verschwunden; auch das lässt vermuten, dass Gesslers Konkurrenz die Finger im Spiel hat. Zoe ist ohnehin von Daniels Unschuld überzeugt: Er ist ihr Freund.
Im Unterschied zum überlangen Jubiläumszweiteiler ("Borchert und die Stadt in Angst") ist "Borchert und der Schuss ins Herz" dicht erzählt. Auch die Bildgestaltung – diesmal wieder von Max Knauer, der die Mehrzahl von Richters "Zürich-Krimis" fotografiert hat – bewegt sich auf gewohnt hohem Niveau.
Da die Handlung nach dem Thriller-Prolog zunehmend zum Drama wird, sind die guten Leistungen gerade von Jonathan Lade und Carla Hüttermann umso wichtiger. Die Mitwirkenden in den wichtigen Nebenrollen sind zwar nicht annähernd so prominent wie Episodengast Stephan Kampwirth, fügen sich aber nahtlos in die gute Ensemble-Leistung ein. Das Lied, das Daniel und Zoe miteinander verbindet, hat Michael Klaukien gemeinsam mit Sängerin Marion Lenfant-Preus eigens für den Film komponiert.