In der Nacht zum Dienstag (3. Dezember) hatten Polizeikräfte versucht, das Kirchenasyl im evangelischen Zion-Gemeindezentrum aufzulösen, um einen 25-jährigen Somalier abzuschieben. Rund hundert Menschen hatten die Abschiebung unmittelbar vor Ort und unter Glockengeläut verhindert.
evangelisch.de: Frau Jochims, welches Gefühl hatten Sie angesichts der Tatsache, dass Menschen so öffentlich gegen den Versuch des Abbruchs eines Kirchenasyls demonstriert haben und dabei mit Glockengeläut unterstützt wurden?
Dietlind Jochims: Ich habe mich - in dem Entsetzen über einen neuerlichen Kirchenasylbruch- gefreut, dass sich Menschen hier friedlich der Abschiebung entgegengestellt haben.
Wie bewerten Sie es aus ihrer persönlichen Sicht als Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, dass Menschen auf die Straße gegangen sind, um gegen den Bruch des Kirchenasyls zu demonstrieren?
Jochims: Proteste wie Mahnwachen oder Demonstrationen gab es nach mehreren der Kirchenasyl-Brüche in den letzten Monaten. Das, was für die einzelnen Menschen in Kirchenasylen erreicht werden soll, bekommt hier eine öffentlichere Dimension: Wir machen darauf aufmerksam, dass es auch in einem Rechtsstaat Entscheidungen geben kann, die Menschen nicht gerecht werden. Dass das europäische Asylsystem selbst für massive Verletzungen von Rechten und Würde Geflüchteter verantwortlich ist, und diese Verletzungen Gesichter haben. Für diesen Einsatz für Menschenrechte hat der Staat grundsätzliche Akzeptanz bekundet. Ein polizeiliches Eindringen in kirchliche Räume verträgt sich damit nicht.
Hat sich der öffentliche Protest gelohnt?
Jochims: Kurz nach dem Kirchenasylbruch in Bremen gab es ein (bereits länger verabredetes) Gespräch der kirchlichen Prälaten mit dem Präsidenten des BAMF. Auch auf der Innenministerkonferenz wurde über das Thema Kirchenasyl gesprochen.
70.000 Unterschriften übergeben
An die Innenminister:innen wurde auch das Anliegen einer Petition zum Schutz des Kirchenasyls mit über 70.000 Unterschriften übergeben. Wie sich all dieses jetzt auf die Kirchenasylpraxis auswirkt, wird sich noch zeigen. Die Gesprächsergebnisse kennen wir noch nicht im Detail.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) findet, dass sich Kirchen durch die Aufnahme von Migranten, um sie vor einer Abschiebung zu schützen, nicht über das deutsche Recht stellen dürften, wie sehen Sie das?
Jochims: Kirchen stellen sich mit der Gewährung von Kirchenasyl nicht über das deutsche Recht. So wurde 2015 eine Kommunikationsstruktur zwischen Kirchen und staatlichen Behörden verabredet und staatlicherseits die Akzeptanz von Kirchenasyl bekundet. Damit sollte ein "gemeinsames Suchen nach guten humanitären Lösungen im Einzelfall" ermöglicht werden. An einer Verbesserung dieser humanitären Lösungen sollten Kirchen und Staat arbeiten. Auch der Staat könnte sich so immer wieder messen lassen an seinen eigenen Ansprüchen und Werten wie der Wahrung und dem Schutz von Menschenwürde. Das wäre eine gute Alternative zur Delegitimierung des Kirchenasyls.
Aus welcher Motivation heraus engagieren Sie sich persönlich als Pastorin für das Kirchenasyl?
Jochims: Für mich gehört zum Kern meines Handelns als Christin, als Pastorin und als Staatsbürgerin, dass ich mich einsetze, wo die Würde, die Rechte, die Gottesebenbildlichkeit von Menschen verletzt werden.
Wie könnten andere Gemeinden ihre Solidarität mit der Ziongemeinde in Bremen zeigen?
Jochims: Ob mit der Ziongemeinde oder mit anderen Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren - Solidarität ist auf ganz unterschiedliche Art und Weise möglich: Fragen, ob und wo Unterstützung gebraucht wird. Eine Kollekte sammeln. In der eigenen Gemeinde über Kirchenasyl diskutieren und eine Haltung entwickeln.
Was könnten wir vielleicht als einzelne Christ:innen tun?
Jochims: Öffentlich Stellung nehmen. Leser:innenbriefe schreiben. Sich informieren. Diskussionen in der eigenen Gemeinde anstoßen. Schauen, welcher Politik sie ihre Stimme geben.
Dietlind Jochims ist Pastorin und seit August 2014 Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche. Davor war sie Pastorin in den Hamburger Stadtteilen Billstedt, St. Pauli und Neuallermöhe sowie in der Notfallseelsorge. Ihre Gemeinde hat mehrfach Kirchenasyle beherbergt. Kirchenasyle sind für sie Gradmesser der Humanität von Gemeinden und Seismographen der Achtung von Menschenrechten in der Politik, heißt es über sie auf der Website der Bundesarbeitsgemeinschaft.