Nach einer langen Reise kam Ali Sadeq an der deutschen Grenze in Frankfurt an der Oder an. Er wusste noch nicht, dass er sich in Deutschland befand und dachte, dass der Polizist, der ihm zuwinkte, ein polnischer Polizist war. Natürlich wollte Ali nicht von der polnischen Polizei geschnappt werden, deshalb rannte er weg. Zum Glück rannte er nicht zurück nach Polen, sondern in die richtige Richtung.
Nachdem seine Füße versagten, wurde er von der deutschen Polizei verhaftet und musste von Frankfurt (Oder) nach Berlin und von dort nach Kalsruhe fahren, um einen Asylantrag zu stellen, und wurde dann nach Heidelberg gebracht, wo sein Antrag geprüft, seine Geschichte verifiziert und er angehört wurde.
Heute, drei Jahre später, sitzt Ali Sadeq im Gemeindehaus der evangelischen Kirche in Bietigheim-Bissingen. Er ist zusammen mit Hans und Jutta Pitter gekommen, zwei deutschen Ehrenamtlichen, mit denen er sich angefreundet hat. Ali ist heute extrem vergnügt. Er hat den beiden etwas zu erzählen. Aber das ist sein Geheimnis, das ist zu großartig, um es einfach so zwischen Tür und Angel zu erzählen. Also nimmt Ali mich erstmal mit in einen Nebenraum, um mir seine Geschichte von Anfang an zu erzählen.
Es war vor drei Jahren, dass Ali seine erste Anhörung beim BAMF hatte. Jeder hatte ihm gesagt, dass Deutschland die meisten Asylanträge aus dem Irak ablehnt. Das BAMF hält das Land für sicher. Natürlich war Ali besorgt und nervös, wie könnte er es nicht sein? Er würde seine Geschichte jemand anderem erzählen, einem Fremden, mit dem er oder sie nichts gemeinsam hatte, in einer Sprache, die er nicht verstand.
Anhörung vor Fremden
Er wird seine Geschichte einem Fremden erzählen, der oder die entscheiden wird, ob er es verdient, in Deutschland zu bleiben oder nicht. Es ist eine Prüfung, die über sein Schicksal entscheiden wird. Ali betritt den Saal, in dem eine Richterin vor ihm sitzt, die, wie er sagt, aussieht, als wäre sie von arabischer Herkunft. Er fühlt sich ein wenig optimistisch und beginnt, seine
Geschichte zu erzählen, aber dieser Optimismus wird schnell zunichte gemacht.
Die Richterin überschüttet ihn mit Fragen, was seine Verwirrung und sein Stottern nur noch vergrößert. Nach fast zwei Stunden beendet die Richterin ihre Fragen mit der Bemerkung, dass seine Geschichte "Bollywood-Filmen" ähnele, langen indischen Filmen mit übertriebenen Geschichten und Handlungen. Die Worte treffen ihn hart und er fühlt sich traurig und enttäuscht. Wie konnte sie so etwas zu ihm sagen? Konnte sie das? Oder ist es nur ihre Aufgabe, Fragen zu stellen und zuzuhören?
Neue Freunde
Ali zog von Heidelberg in die Stadt Bietigheim-Bissingen in der Nähe von Stuttgart. In seiner neuen Stadt lernte Ali Hans Pitters und seine Frau vom Ökumenischen Freundeskreis Asyl Bietigheim-Bissingen kennen. Hans und seine Frau besuchten die Unterkunft jeden Montag, um den Migranten bei bürokratischen Angelegenheiten, Papierkram und Behördengängen zu helfen und sie psychologisch und emotional zu unterstützen. Ali spricht Englisch, und so vertiefte sich seine Beziehung zu Hans und Jutta mit der Zeit.
Ali fand es schwierig, Hans' Namen in seinem irakischen Dialekt auszusprechen und sprach ihn als Hants oder Hanz aus. Hans schlug Ali vor, ihn "Baba" zu nennen, wenn er das Gefühl habe, dass es für ihn einfacher sei, und natürlich, wenn es angemessen sei. Ali, der sich einsam fühlte und einen glücklichen Gesichtsausdruck hatte, fragte, ob er Jutta auch "Mama" nennen könne. Einige Monate später kam der gelbe Postumschlag. Wie viele andere Iraker erwartete er, dass sein Antrag abgelehnt werden würde, und genau das fand er auch in dem Umschlag. Aber er ließ sich nicht entmutigen.
Widerspruch und neue Ziele
Mit der Hilfe von Hans beschloss Ali, gegen die Entscheidung des Gerichts Widerspruch einzulegen und die nächsten Schritte zu planen. Hans sagte ihm, dass diese Verfahren viel Zeit in Anspruch nehmen, so dass er sich bis zum zweiten Gespräch nach der Berufung gut vorbereiten musste. Hans setzte sich mit einer Schule in Stuttgart in Verbindung und überzeugte sie, Ali die Möglichkeit zu geben, die Sprache zu lernen und sich auf das Hauptschulabschluss vorzubereiten.
Es war eine Herausforderung für Ali, sich zu beweisen, und in nur zwei Jahren schaffte er es, Deutsch zu lernen und die Hauptschulabschluss mit einem beeindruckenden Notendurchschnitt von 1,8 abzuschließen. Und das alles, bevor die Behörden seinem Widerspruch stattgaben und er seine zweites Asylanhörung bekam. Der nächste Schritt war der Versuch, trotz seines ungeklärten Rechtsstatus einen Praktikumsplatz zu bekommen.
Ali konnte sich bis zu seinem zweiten Gerichtstermin im März dieses Jahres bei mehreren Unternehmen befristete Praktikumsplätze sichern. Diesmal war Ali zuversichtlich. Er spricht jetzt sehr gut Deutsch und hat sich im Laufe
der Jahre bewährt. Die Richterin sagte ihm sogar, dass sein Deutsch gut sei und er keinen Übersetzer benötige. Ali zeigte sich dieses Mal optimistisch und war sich sicher, dass das Urteil dieses Mal positiv ausfallen würde.
Duldung durch Ausbildungsplatz
In der Zwischenzeit setzte sich Hans mit der Industrie- und Handelskammer in Stuttgart in Verbindung und versuchte herauszufinden, wo Ali einen Ausbildungsplatz bekommen könnte, um die sogenannte Ausbildungsduldung zu bekommen. Im September, nur einen Monat bevor ich ihn kennenlernte, bekam Ali schließlich eine Lehrstelle. Er wird jetzt Fachkraft für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice.
Aber was Hans und Jutta nicht wussten, war das, was auch in dieser Zeit passierte. Nachdem er seine Ausbildung begonnen hatte, kam die Entscheidung des Gerichts, seinen Asylantrag anzunehmen. Ali war während unseres Gesprächs sehr begeistert. Hans und Jutta hatte er noch nichts erzählt. Er wollte überraschen und dieses große Ereignis mit ihnen feiern.
Ein glückliches Ende
Vor drei Jahren wusste der 19-jährige Ali Sadeq nicht, was auf ihn zukommen würde. Wie Tausende anderer junger Männer und Frauen, die Todesboote nahmen, um sich in Europa in Sicherheit zu bringen. Wie Tausende von anderen, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft durch kalte und dunkle Wälder reisten. Alis Geschichte begann nicht mit der großen Flüchtlingswelle, die 2015 in Deutschland ankam, sondern er verließ Bagdad vor drei Jahren im Jahr 2021.
Seine Reise war voller Schwierigkeiten, vom Schlafen in den kalten Wäldern von Belarus mit zerfetzten Kleidern und zerrissenen Schuhen über Polen, wo er von der Polizei gejagt wurde, bis hin zu Deutschland, das sein Asyl ablehnte. Aber trotz alledem ist er immer noch hier, mit seinem starken Willen und seiner Entschlossenheit und der Hilfe seiner deutschen "Mama und Papa".
evangelisch.de dankt der Diakonie Württemberg und Amal, Berlin! für die inhaltliche Kooperation.