Über die Gefahr, eine Frau zu sein

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Orange Day: Gewalt gegen Frauen
Über die Gefahr, eine Frau zu sein
Nicht nur in Afghanistan ist die Situation von Frauen dramatisch, Femizide gibt es auch in Deutschland. Zum Internationalen Tag zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen rufen verschiedene Organisationen dazu auf, ein klares Zeichen gegen geschlechtsspezifische Gewalt zu setzen. evangelisch.de-Redakteurin Alexandra Barone fasst die wichtigsten Ereignisse zusammen.

Gegen Frauen gerichtete Straftaten haben im vergangenen Jahr zugenommen. In nahezu allen Deliktbereichen seien deutliche Anstiege zu verzeichnen, berichtet das Bundeskriminalamt (BKA). So wurden 2023 mehr als 52.000 Frauen oder Mädchen Opfer von Sexualstraftaten wie Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Nötigung. Das waren rund 3.000 beziehungsweise 6,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Im Bereich häusliche Gewalt wurden mehr als 180.000 weibliche Opfer gezählt, ein Plus von 5,6 Prozent. Besonders stark war der Anstieg bei gegen Frauen gerichteter digitaler Gewalt.

Stark gestiegen ist 2023 dem Bundeskriminalamt zufolge auch die Zahl sogenannter Hasskriminalität gegen Frauen. Gemeint sind damit Straftaten, die dezidiert frauenfeindlich motiviert sind, wobei das Ziel beliebig gewählt sein kann. 322 solcher Taten wurden im vergangenen Jahr registriert. Das waren 56,3 Prozent mehr als 2022. In 29 dieser Fälle ging es 2023 um Gewaltstraftaten - eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr. Frauenfeindliche Straftaten machen 0,4 Prozent des Aufkommens in der Statistik politisch motivierter Kriminalität aus. 

VdK-Präsidentin Verena Bentele fordert die Politik daher auf, schnellstmöglich das geplante Gewalthilfegesetz zu beschließen. Das "Gesetz für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt" sieht einen Anspruch für Frauen, die Opfer von Gewalt werden, auf Hilfe und Beratung vor. Auch Prominente aus Film und Wirtschaft bleiben nicht untätig: In einem Video fordern sie die Bundesregierung auf, die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen zu verbessern. Der 60-Sekunden-Film ist seit Dienstag in allen wichtigen Social-Media-Kanälen zu sehen, teilt der Paritätische Gesamtverband in Berlin mit. 

Scham muss Seite wechseln

An der Kampagne "Orange the World - 16 days of activism against gender based violance", mit der Menschen weltweit Solidarität mit den Betroffenen zeigen, beteiligt sich auch die Stadt Karlsruhe. Die Kampagne wurde 1991 vom US-amerikanischen "Center for Women’s Global Leadership" gegründet. Inzwischen liegt die internationale Beteiligung bei über 6.000 Organisationen und 187 Ländern. Mit dabei ist auch die Evangelischen Landeskirche in Baden (EKIBA). Wie an vielen anderen Orten in der Stadt, weht vom 25. November bis 10. Dezember auch am Gebäude des Oberkirchenrates  die orangene Fahne. Das Orange stehe für eine hellere Zukunft ohne Gewalt und signalisiert Hoffnung und Unterstützung für die Betroffenen. 

Begleitend zur Aktion "16 Tage Aktivismus gegen geschlechtsspezifische Gewalt" eine digitale Denkwerkstatt und eine Instagram-Kampagne der Evangelischen Frauen in Baden statt.

"Die Scham muss die Seite wechseln" sei mehr als nur ein Zitat von Gisèle Pelicot, betont Kirchenrätin Beate Schmidtgen im Namen der Evangelischen Frauen in Baden: "Es ist ein Aufruf, die Täter:innen zur Verantwortung zu ziehen und den Opfern die notwendige Unterstützung zu bieten. Oft ist das nicht einfach, denn die Scham verschlägt vielen die Sprache. Mit darüber Reden, Sensibilisieren, Zuhören und Ernst nehmen müssen wir gemeinsam daran arbeiten, Gewalt gegen Frauen zu beenden. Vielleicht finden sich dabei Worte, die helfen, die Scham auf die andere Seite zu bringen. Denn eben mal so wird sie die Seite nicht wechseln."

Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung

Konkrete Hilfe bei Gewaltanwendungen gegen Frauen will die Beratungsstelle Frauennotruf Frankfurt geben, die im Rahmen des Kompetenzverbunds "Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung" eine Reihe von Fortbildungsvideos produziert hat. "Diese Videos ergänzen perfekt unsere jährlichen Fortbildungsveranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte", erklärt Angela Wagner von der Beratungsstelle Frauennotruf Frankfurt. "Die Tutorials ermöglichen flexiblen Zugriff auf Informationen, die nach einer Vergewaltigung wichtig sind und tragen dazu bei, die Qualität der Versorgung weiter zu standardisieren und zu verbessern."

Das Entwicklungs- und Produktionsteam der Tutorial-Videos zur Aktion "Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung".

Begleitet und unterstützt wurde sie dabei von Expertinnen aus den Bereichen Gynäkologie, Rechtsmedizin und Medizindidaktik. Die insgesamt neun entstandenen Tutorials thematisieren verschiedene Aspekte der Versorgung nach einer Sexualstraftat. Der Versorgungsverbund "Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung" ist seit 2013 in Frankfurt etabliert und umfasst aktuell 38 angeschlossene Krankenhäuser in 29 Regionen und vier Bundesländern. Ziel ist es Versorgungsstrukturen zu schaffen, die vergewaltigten Frauen den Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung und auf Wunsch auch zu einer Spurensicherung erleichtern. 

Jede dritte Frau weltweit von Gewalt betroffen

Nach Angaben von UN Women wurden 2022 weltweit etwa 48.800 Frauen und Mädchen von ihren Partnern oder Familienangehörigen getötet. Das seien durchschnittlich mehr als fünf getötete Frauen und Mädchen pro Stunde. In Deutschland erlebt alle vier Minuten eine Frau 
Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Diese Zahlen sind alarmierend und verdeutlichen die dringende Notwendigkeit zu handeln. Gewalt gegen Frauen ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein strukturelles, das tief in gesellschaftlichen Normen verankert ist.

Eine besonders schwierige Lage für Frauen und Mädchen beschreibt das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor, das anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen auf die dramatische Situation der Frauen in Afghanistan aufmerksam macht. Nachdem die radikale Taliban-Regierung im Oktober rund 100 frauenfeindliche Dekrete als Tugendgesetz verabschiedet hat, verschlechtert sich die Situation der Frauen und Mädchen jeden Tag dramatisch. Frauen werden aus dem öffentlichen Leben verdrängt, für sie gilt ein Bildungs- und Beschäftigungsverbot, viele leiden unter Gewalt, Misshandlung und Hunger.

Als "Verführerinnen" von Männern sexualisiert

 "Frauenstimmen sollen nicht gehört werden, nicht in der Öffentlichkeit, nicht in den Gemeinden, nicht in den Gebeten", sagt Amira Shirin (Name von der Redaktion geändert), eine Misereor-Projektpartnerin aus Afghanistan, die sich aktuell in Deutschland aufhält. "Die Angst vor Entführung, Gewalt und sogar Mord ist ein ständiger Begleiter für afghanische Frauen", so Shirin. Frauen werden von der Taliban als "Verführerinnen" von Männern sexualisiert. Die Gesetzesvollstrecker, sogenannte Tugendwächter, dürfen bei Nichtbeachtung der Vorschriften nach eigenem Ermessen strafen – ihre Gewalt richtet sich oftmals gezielt gegen Frauen.

Der Europäische Gerichtshof hat im Oktober zugesichert, dass allen afghanischen Frauen in der EU ein Recht auf Asyl zusteht. Deshalb fordert Misereor von der Bundesregierung, ihre Handlungsspielräume der internationalen Zusammenarbeit zu nutzen, um die Frauen in Afghanistan zu erreichen. "Wenn die Hilfe afghanische Frauen nicht mehr erreichen kann, ist für Misereor eine rote Linie erreicht. Misereor wird keine Projekte ohne Frauen fördern", erklärt Anna Dirksmeier, Misereor-Expertin für Afghanistan. 

In Deutschland lassen Firmen, Rathäuser, Kirchen und Frauengruppen jedes Jahr am 25. November die Fahnen wehen: Die Worte "Frei Leben - ohne Gewalt" umrahmen eine aufrechte Frauenfigur auf blauem Grund. Die Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" hat die Fahnen entworfen. Thema der diesjährigen Aktionen ist die Gewalt durch Partner oder Ex-Partner.