Beauftragte: "Inklusion ist urdemokratisch"

Inklusiver Spielplatz, auf dem ein behindertes Kind spielt
epd/Dieter Sell
Inklusive Spielplätze wie in Bremen sind noch die Ausnahme in Deutschland (Archivfoto vom 22.08.2023)
Unterzeichnung "Bremer Appell"
Beauftragte: "Inklusion ist urdemokratisch"
In Kiel wurde am Freitag ein neuer Landesrahmenvertrag zur Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen unterzeichnet. Doch gibt es noch viel Nachholbedarf auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, darin sind sich die Behindertenbeauftragten aus Bund und Ländern einig.

"Die Umsetzung der Inklusion ist ein urdemokratisches Prinzip", sagt der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel. Gemeinsam mit den Beauftragten der Länder fordert er im "Bremer Appell" den Abbau von Sonderstrukturen wie Förderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen. Die strukturelle Benachteiligung zeige sich auch daran, dass dringend notwendige inklusionspolitische Vorhaben von politisch Verantwortlichen oftmals auf die lange Bank geschoben würden: "Das gilt auch für diese Legislaturperiode. Damit wird Politik unglaubwürdig und verspielt Vertrauen."

"Die Verfassung enthält einen Transformationsauftrag hin zu einer inklusiven Gesellschaft", erklärt am Ende der Herbstkonferenz des Kreises der Bremer Landesbeauftragte Arne Frankenstein als Gastgeber und Sprecher des zweitägigen Treffens, das am Freitag endete. Dem komme Deutschland gegenwärtig nicht hinreichend nach. Der Grundgesetzartikel, nach dem niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe, bedeute einen unmittelbaren Handlungsauftrag. Dabei gehe es insbesondere um passende Wohnangebote, um selbstbestimmtes Leben außerhalb von Einrichtungen und eine gemeindenahe psychiatrische Versorgung ohne Zwang. "Es gibt immer noch eine Kultur von Benachteiligung", sagt Frankenstein.

Zeitgleich zum "Bremer Apell" ist in Kiel am Freitag ein neuer Landesrahmenvertrag zur Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen unterzeichnet worden. Das Land Schleswig-Holstein, die Kreise und kreisfreien Städte sowie die Verbände der Leistungserbringer sind laut Mitteilung des Sozialministeriums die Unterzeichner. Das Dokuments regelt, wie die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen in Land künftig erbracht und vergütet werden. Der letzte Landesrahmenvertrag zur Eingliederungshilfe datiert den Angaben zufolge vom Juni 2019. 

In Deutschland lebten etwa 12,7 Millionen Menschen mit einer Behinderung, also jeder sechste Bürger, betonte Dusel. Inklusion sei angesichts dieser Zahl kein "nice to have": "Die Umsetzung der Inklusion ist ein urdemokratisches Prinzip." Vor dem Hintergrund der gescheiterten Ampel-Koalition fordern die Beauftragten von der neuen Bundesregierung und dem Parlament, dass die inklusionspolitischen Vorhaben aus der nun zu Ende gehenden 20. Legislatur des Deutschen Bundestages in der neuen Periode mit Priorität umgesetzt werden. Sie dürften keinem parteipolitischen Gezerre zum Opfer fallen, warnte Dusel.

Dabei gehe es insbesondere um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Behindertengleichstellungsgesetz, das Gesetz zur Ausgestaltung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe sowie um die Reform des Werkstattrechts.
Die Beauftragten verabschiedeten den "Bremer Appell" genau 30 Jahre, nachdem das Benachteiligungsverbot von Menschen mit einer Behinderung in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Mit seinem Titel ist die Erklärung auch als Reminiszenz an den "Düsseldorfer Appell" gedacht, den der "Initiativkreis Gleichstellung Behinderter" am 23. Oktober 1991 in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt veröffentlichte. Das Papier verlieh den Initiativen zur Aufnahme des Benachteiligungsverbotes in der Verfassung einen zentralen Schub.