Biermann, der am Freitag 88 Jahre alt wird, empfahl: "Wer zu faul für ein lebendiges Leben und zu träge zum Selberdenken ist, sollte sich in diese Parteien legen wie ins Grab." Er sagte in dem Interview, das in der "stern"- Ausgabe vom Donnerstag erschienen ist: "Die Widersprüchlichkeit und Komplexität der Welt muss ein Mensch immer wieder neu lernen und aushalten können."
Der in Hamburg geborene Wolf Biermann zählt zu den profiliertesten politischen Liedermachern und Dichtern Deutschlands. Mit 16 Jahren ging er aus politischer Überzeugung in die DDR. Ende 1965 bekam er dort wegen seiner kritischen Lieder und Gedichte Auftritts- und Publikationsverbot. 1976 wurde er nach einem Konzert in Köln ausgebürgert. Das löste in Ost- und Westdeutschland Proteste aus.
Wolf Biermann zweifelt zeitgleich an der Demokratiefähigkeit der Deutschen. Der "Zeit" sagte der Liedermacher: "Wir Deutschen haben einen totalitären Familienstammbaum mit einer aufgepfropften Demokratie." Nach den Worten Biermannns "duften" die meisten Deutschen nach Anpassung und Untertan. "In der DDR-Diktatur hat sich, sogar beim Volksaufstand am 17. Juni 1953, nur eine fatal unorganisierte Minderheit gewehrt. Das hat Langzeitfolgen auch für das Verhalten nach der Wiedervereinigung", sagte der 87-Jährige, der 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde und heute in Hamburg lebt. "Nicht alle, aber zu viele gelernte Untertanen im Osten erwarten, dass sich der Staat wie in einer strengen Fürsorgeanstalt um alles kümmert", konstatierte er.
1989 beim Sturz der DDR-Regierung hätten nur die Menschen auf der Straße für die Freiheit gekämpft, andere "hinter der Gardine" gestanden. "Die wollten nicht mit dem Trabi aus Pappe nach Ungarn fahren, sondern mit dem Mercedes nach Italien", sagte Biermann in dem am Dienstagabend online veröffentlichten Interview.
Den thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke und Sahra Wagenknecht, die sich von der Linkspartei getrennt und das Bündnis Sahra Wagenknecht gegründet hat, nannte Biermann "das politische Brautpaar der Stunde": "Da wächst in der Ex-DDR zusammen, was zusammengehört: die Erben des Hitlerschen Nationalsozialismus und des Stalinschen Nationalkommunismus." Biermann sagte: "Echte Braune und falsche Rote verachten die Regenbogenfarben der Demokratie."