TV-Tipp: "Tatort: Dein gutes Recht"

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Sonntag, 27. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Dein gutes Recht"
Viele Zeitsprünge sorgen immer wieder für überraschende Momente in diesem Ludwigshafen-Tatort, bei dem Kommissarin Lena Odenthal selbst zum Gegenstand von internen Ermittliungen wird.

Vermutlich ist es naiv, mit einer Anwältin über Anstand und Moral zu debattieren. Abgesehen davon ist der sinngemäße Hinweis der Juristin, solche Begriffe seien viel zu diffus, um als Basis für die Rechtsprechung zu dienen, völlig gerechtfertigt: Wer lege denn fest, fragt sie Lena Odenthal, was unter Anstand und Moral zu verstehen sei?

Die Empörung der Kommissarin (Ulrike Folkerts) ist allerdings verständlich, denn Patricia Prinz (Sandra Borgmann), Spezialistin für Arbeits- und Scheidungsrecht, pflegt ihre Prozesse zu gewinnen, indem sie die Gegenseite in Grund und Boden diffamiert und ihren Mandanten, Piet Sievert (Matthias Lier), als barmherzigen Samariter darstellt.

Der Mann leitet ein Callcenter. In dieser Branche ist die Fluktuation ohnehin hoch, aber Sievert spricht offenbar gerade beim weiblichen Teil der Belegschaft überdurchschnittlich viele Kündigungen aus. Jetzt ist er tot, Odenthal hat ihn erschossen, und nun muss sie den tödlichen Schuss in einer inquisitorisch anmutenden Befragung durch einen internen Ermittler rechtfertigen.

Der Rollentausch bildet den roten Faden dieses raffiniert konzipierten und durchgehend fesselnden achtzigsten "Tatorts" aus Ludwigshafen. Martin Eigler (Buch und Regie), dessen "Tatort"-Beiträge ohnehin stets sehenswert sind, beginnt die Geschichte jedoch ganz anders. Auf dem Heimweg hört die Kommissarin über den Polizeifunk von einem Notruf: In eine Kanzlei ist eingebrochen worden. Odenthal ist ganz in der Nähe, sieht die vor Schreck zitternde Anwältin, den blutüberströmten Körper ihres Mannes und eine flüchtende Person, doch dann wird sie von zwei übereifrigen Streifenpolizisten überwältigt. Und nun wird es kompliziert.

Clever kombiniert Eiglers Drehbuch verschiedene Ebenen, die nach und nach dank einer geschickten Montage ein schlüssiges Bild ergeben: Um die Ehe von Patricia Prinz stand es offenbar nicht mehr zum Besten. Ihr Mann, der später seinen Verletzungen erliegt, hat als Jura-Dozent gern aus ihren bösartigen Schriftsätzen zitiert; anonymisiert zwar, aber alle wussten, von wem sie stammten. Parallel dazu erzählt der Film die Geschichte von Marie Polat (Emma Nova), der Sievert gekündigt hat und die deshalb das Sorgerecht für ihren kleinen Sohn verlieren könnte. Sie sagt, ihr Chef habe sie gefeuert, weil sie keinen Sex mit ihm wollte; die Anwältin behauptet das genaue Gegenteil.

Einzige Schwäche von "Dein gutes Recht" ist die Interpretation der zentralen Männerrollen: Beide sind von vornherein negativ geprägt, weshalb kein Zweifel daran bestehen kann, dass Sievert ein veritabler Drecksack und die Schilderung seiner ehemaligen Angestellten korrekt ist. Bei der Befragung Odenthals liegen die Dinge zwar etwas anders, weil Kurt Breising ohnehin ihr Gegenspieler ist, aber auch hier wird allzu früh deutlich, dass der interne Ermittler voreingenommen ist.

Seine Methode, Odenthal und die Kollegin Stern (Lisa Bitter) gegeneinander auszuspielen, indem er mit falschen Behauptungen arbeitet, ist zumindest unlauter. Bernd Hölscher kostet diese Rolle allerdings geradezu genussvoll aus und lässt selbst den harmlosen Verzehr einer Traube wie eine Provokation wirken. Von einer jungen Mitarbeiterin (Davina Fox) des Inquisitors erfährt Odenthal, dass Breising in der Tat einen persönlichen Grund hat, die Kommissarin anzuprangern, und auch hier hat Patricia Prinz ihre Finger im Spiel.

Immer wieder wechselt der Film die Zeitebenen, um neue Puzzlestücke zu sammeln, sodass sich diverse überraschende Wendungen ergeben. Zusätzliche Herzstücke neben der Befragung der Kommissarinnen – Christina Hecke spielt die zweite Vernehmerin – ist eine Verhandlung am Arbeitsgericht, weil Marie ihren Chef verklagt hat, sowie das ausführliche dramatische Finale.

Hier kann es sich der Film sogar leisten, weitgehend auf Musik zu verzichten, denn die Szenerie ist in der Tat schon spannend genug: Auf der Flucht werden Marie und ihre Partnerin (Samia Chancrin) von einem Mobilen Einsatzeinkommando gestellt. Dabei kommt es zum erregten Disput zwischen Odenthal, die ein unnötiges Blutvergießen verhindern will, und dem Einsatzleiter (Rouven Israel).

Ein weiterer roter Faden sorgt für allerlei Kurzweil und dient Breising als Vorwand, um der Hauptkommissarin eine zunehmende Gereiztheit zu unterstellen, die sich schließlich im Schuss entladen habe: Auf dem Flur tummeln sich ein Dutzend Bewerberinnen um die vakante Assistenzstelle, aber Odenthal und Stern haben überhaupt keine Zeit für die von Eigler als Realsatire inszenierten Gespräche. Am Ende kriegt den Job ein Kollege aus der Poststelle - doch das ist noch nicht das letzte Wort.