TV-Tipp: "Informant – Angst über der Stadt"

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16. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Informant – Angst über der Stadt"
"Informant – Angst über der Stadt" basiert auf der britischen Serie "Informer" (2018, BBC). Matthias Glasner (Buch und Regie) hat die Drehbücher geschickt auf hiesige Verhältnisse übertragen.

Außergewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. In solchen Momenten ist keine Zeit für Kompromisse oder gar Sentimentalitäten. Gabriel Bach macht sich ohnehin keinerlei Illusionen über die Motive der Leute, die als Spitzel für ihn arbeiten: Erst verraten sie ihr Umfeld, später ihn. Der LKA-Kommissar (Jürgen Vogel) gilt als ausgebrannt und hätte den Rest seiner Dienstzeit wohl auf dem Abstellgleis verbracht, wenn es nicht zu einer extremen Gefahrenlage gekommen wäre: Ein für diverse Anschläge mit vielen Toten verantwortlicher islamistischer Terrorist war zuletzt mehrfach in Hamburg.

Die Behörden müssen davon ausgehen, dass auch in der Hansestadt demnächst eine Bombe explodieren wird, und kaum ein Ort wäre als Anschlagsziel symbolträchtiger als die Elbphilharmonie. Um nähere Informationen zu bekommen, soll Bach jemanden in die muslimische Szene einschleusen. Dass es ausgerechnet Raza Shaheen (Ivar Wafaei) trifft, ist eine bittere Ironie des Schicksals. Der junge Mann mit den afghanischen Wurzeln ist vorbildlich integriert, er unterrichtet Deutsch für Flüchtlinge an der Volkshochschule.

Freundin Sadia (Bayan Layla) träumt von einem eigenen Laden, hat aber keine gültigen Papiere. Der unaufhaltsame Absturz des Paars beginnt, als sie beim Tanzen im Club eine Ecstasy-Pille zu viel einwirft und er im Krankenhaus verhaftet wird. Sadias Status macht Raza erpressbar, außerdem ist er Mitglied eines Kampfsportclubs, in dem sich auch ziemlich finstere Burschen tummeln; das macht ihn zum idealen Kandidaten für Bach.

"Informant – Angst über der Stadt" basiert auf der britischen Serie "Informer" (2018, BBC). Matthias Glasner (Buch und Regie) hat die Drehbücher geschickt auf hiesige Verhältnisse übertragen, und das gilt nicht nur für das typisch deutsche Kompetenzgerangel zwischen LKA, BKA und BND. Auch der Schauplatz Hamburg ist gut gewählt; schon allein die Szenen in der vollbesetzten Elbphilharmonie, in der am Abend des mutmaßlichen Anschlags Panik ausbricht, als ein Schuss fällt, sind spektakulär. Mit diesem Ereignis sowie den Befragungen der Beteiligten im Rahmen eines Untersuchungsausschusses beginnt jede der sechs Episoden; dann folgt ein Countdown ("9 Tage bis zum Anschlag"). 

Der besondere Reiz der Serie liegt in der Kombination aus Thriller und Drama, denn Glasner, der seit dreißig Jahren mit Jürgen Vogel zusammenarbeitet, konzentriert sich im Wesentlichen auf den Strudel, in den die Beteiligten geraten: Die Entwicklung, die Bach und die junge BKA-Kollegin Holly Valentin (Elisa Schlott) angestoßen haben, nimmt eine fatale Eigendynamik an; so kommt es schließlich zu einer Reihe sinnloser Todesfälle. Die interessantesten Figuren sind dabei der von Vogel am Rande des psychischen Wracks verkörperte Kommissar, der vor Jahren als verdeckter Ermittler in der Neonazi-Szene gearbeitet hat und nun von seiner Vergangenheit eingeholt wird, sowie der unbescholtene Raza, der wider Erwarten zunehmend Gefallen an seiner neuen Rolle findet, allerdings unbeabsichtigt beinahe auch zum Mörder wird.

Dank Elisa Schlott ist die ehrgeizige BKA-Frau weit mehr als bloß ein junges blondes Ding an der Seite des erfahrenen Kollegen, Claudia Michelsen holt eine Menge aus ihrer Rolle als Polizistengattin, und Gabriela Maria Schmeide ist als mütterliche Chefin ebenfalls treffend besetzt. Trotzdem sind die männlichen Figuren facettenreicher: Raza ohnehin, weil er eine extreme Veränderung durchläuft, vor allem aber Bach, den seine Frau für einen Avatar hält, weil lange offen bleibt, wer der echte Gabriel ist: das finstere Nazi-Alter-Ego Charlie oder der Kommissar; womöglich ist in Wirklichkeit der Alltag als Familienvater die Maskerade.

Ein weiterer Unterschied zum Original ist Glasners Idee, der Geschichte eine ganz andere Ausrichtung zu geben: In der BBC-Serie geht es darum, einen Anschlag zu verhindern. In Glasners Version geht es vor allem um die Angst vor der Tragödie, die prompt zur sich selbsterfüllenden Prophezeiung wird; allerdings ganz anders, als die Behörden befürchtet haben. Ähnlich düster wie die Handlung ist auch die Umsetzung. Es regnet oft in dieser Serie, und die ausnahmslos auf sich selbst bezogenen Mitglieder des Krisenstabs tagen in einem dunkelgrünstichigen Zwielicht.

Glasner hat mit mehreren Kameras gleichzeitig drehen lassen, was vielen Szenen eine "reportagige" Anmutung gibt. Abgerundet wird die herausragende Gesamtleistung durch die ausgezeichnete Musik (Sven Rossenbach, Florian Van Volxem), die jazzige Passagen wirkungsvoll mit Thriller-Elementen durchsetzt. Das "Erste" zeigt die Serie heute und morgen ab 20.15 Uhr, alle Folgen stehen bereits in der ARD-Mediathek.