Sozialwissenschaftler Vogel fordert Schritte gegen die Einsamkeit

Sozialwissenschaftler Vogel fordert Schritte gegen die Einsamkeit
24.07.2024
epd
epd-Gespräch: Michael Grau

Göttingen (epd). Der Göttinger Sozialwissenschaftler Berthold Vogel hat Politik und Gesellschaft aufgefordert, Schritte gegen die wachsende Einsamkeit vieler Menschen zu unternehmen. „Einsamkeit ist ein idealer Nährboden für Ressentiments“, sagte Vogel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dies schade der Demokratie. „Eine Gesellschaft der Ressentiments ist eine autoritäre, enge und missgelaunte Gesellschaft“, erläuterte Vogel: „In einer Atmosphäre der Missgunst kann sich keine offene und demokratische Gesellschaft entfalten.“

Der Professor hat das Phänomen der Einsamkeit in einem neuen Buch gemeinsam mit zwei Kollegen unter die Lupe genommen. „Wir wissen, dass Isolation, Mangel an Kontakten und sozialer Rückzug seelisch und physisch krank machen“, sagte der Geschäftsführende Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen. Für immer mehr Menschen in allen Altersgruppen und Schichten sei Einsamkeit ein Problem. Etwa ein Viertel der Bevölkerung klage heute darüber.

Als Ursache für vermehrte Einsamkeit nannte der Wissenschaftler den Verlust öffentlicher Räume und sozialer Kreuzungspunkte: „Also die abnehmende Bedeutung von Vereinen, Parteien, Kirchen.“ Auch der Strukturwandel der Arbeit und die Tendenz zum Homeoffice begünstigten Einsamkeit. Zudem hätten sich Lebensformen und familiäre Beziehungen verändert, was die Vereinzelung weiter verstärke.

Isoliert von ihren Mitmenschen seien einsame Menschen anfällig für Ressentiments, sagte Vogel. Das sei nicht automatisch so, doch es gebe eine Verbindung. Einsame Menschen erlebten dann die Welt als feindlich und abgewandt und seien empfänglich für Verschwörungsvorstellungen jeder Art. Das Internet und die sozialen Medien könnten solche Entwicklungen weiter vorantreiben, weil es dort kein kritisches Gegenüber gebe: „Das Internet entfaltet einen Sog der Selbstbestätigung, die Einsame noch einsamer macht.“

Autoritäre politische Parteien und Regime lebten vom „Management der Ressentiments“, sagte der Professor: „Sie wissen, wie man Minderwertigkeitskomplexe und Ohnmachtserfahrungen befeuert und am Leben erhält.“ Die Politik sei daher gefragt, Orte und Gelegenheiten zu schaffen, die Gemeinschaft ermöglichten, forderte der Soziologe. Beispiele dafür seien schön gestaltete Stadtparks, eine Bibliothek, die zugleich auch Café und Begegnungsort sei, oder Mehrgenerationenhäuser.

Auch den großen Institutionen wie den Kirchen komme dabei eine wichtige Rolle zu: „Kirchen haben vor Ort häufig noch die Infrastruktur, die es braucht, sagte Vogel. “Den Gemeindesaal, das Pfarrhaus, den Jugendclub."