Wie sich Krankenhäuser auf demente Patienten einstellen

Tafel mit Datum
epd-bild/Kay Michalak
Ein Blick in die demenzsensible Station"Rückenwind" Station-83 im Krankenhaus Bremen-Ost. Auf der Station ist Ruhe eine wichtige Voraussetzung.
Problem: Beinbruch und Demenz
Wie sich Krankenhäuser auf demente Patienten einstellen
Was ist, wenn der Patient mit dem Beinbruch gleichzeitig demenzkrank ist? Oft ist das Klinik-Personal darauf nicht eingestellt. In Bremen gibt es spezielle Hilfen für demente Patienten: "Rückenwind" heißt die Station, und der Name ist Programm.

Es ist ruhig auf Station 83. Klingt unspektakulär, ist es aber nicht. Denn was in diesem speziellen Bereich des Akutkrankenhauses Bremen-Ost meistens normal ist, kann in anderen Kliniken Deutschlands oft nur unter großen Mühen hergestellt werden. Hier, auf der Station, die im Klinikum unter dem Namen "Rückenwind" bekannt ist, ist Ruhe eine wichtige Voraussetzung in der Arbeit. Das multiprofessionelle Team konzentriert sich voll und ganz auf Menschen, die beispielsweise mit einem Knochenbruch oder einem Schlaganfall gekommen sind - und dazu unter Demenz leiden.

In den Akutkrankenhäusern des Landes Bremen ist es die einzige "demenzsensible Station", wie sie von Fachleuten genannt wird. Auch bundesweit ist "Rückenwind" eine Ausnahme. "Die meisten Krankenhäuser sind bisher nicht auf Menschen mit Demenz eingestellt", weiß Susanna Saxl-Reisen, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft in Berlin. Und das, obwohl schon jetzt etwa zwölf Prozent der über 60-jährigen Patientinnen und Patienten in Allgemeinkrankenhäusern von einer Demenzerkrankung betroffen seien.

Menschen mit Demenz leiden unter Gedächtnis- und Orientierungsstörungen. Sie sind oft ängstlich, unsicher, unruhig und gelegentlich aggressiv. Das kann, was die Abläufe in einem Krankenhaus angeht, zum Systemsprenger werden. Und wirft Fragen auf: Denn was sagt man einem 86-Jährigen, der sich immer wieder verabschiedet und erklärt, er müsse jetzt nach Hause, da seine Mutter auf ihn wartet? Wie kann man den fast 90-jährigen Landwirt beruhigen, der nicht davon abzuhalten ist, die Kühe von der Weide zu holen? Was sagt man der 80-jährigen Frau, die immer wieder nach ihrem verstorbenen Ehemann fragt und die Kinder zur Schule bringen will?

Chefarzt Thomas Hilmer im Gespräch mit einer Patientin auf der demenzsensiblen Station.

"Für Menschen mit einer Demenzerkrankung oder einer kognitiven Einschränkung kann ein Aufenthalt im Krankenhaus mit der neuen Umgebung, immer neuen, fremden Menschen und der Unruhe sehr belastend sein", sagt "Rückenwind"-Chefarzt Thomas Hilmer. Er hat zusammen mit der Pflegeleitung ein Konzept entwickelt, das darauf reagiert. Das Team wurde speziell geschult, es werden Beschäftigungen wie "Bingo" und Waffel-Backen angeboten, hinzu kommen Biografiearbeit und angepasste Therapien auf der Station.

Möwen und Fische als "Gedankenanker"

Insofern ist der Stationsname Programm. "Rückenwind", mit 17 Betten meist ausgebucht, kümmert sich nach der akuten medizinischen Behandlung um die Frührehabilitation und hält auch enge Kontakte zu den Angehörigen. "Unser Ziel ist es, dass die Patientinnen und Patienten wieder zu größtmöglicher Selbstständigkeit kommen", verdeutlicht Chefarzt Hilmer. Dabei helfe auch eine etwas bessere Personalausstattung für die Station: "Wir haben mehr Zeit."

Selbst die Gestaltung folgt der Idee der demenzsensiblen Station: Maritime Symbole wie Fisch, Anker, Möwe und Segelschiff geben Orientierung. "Die kennen unsere Patienten noch aus alten Zeiten, damit können sie etwas anfangen", sagt Bereichspflegeleiter Uwe Kaemena. An der Wand hängen großformatige Fotos mit Motiven bekannter Bremer Gebäude, die Erinnerungen aktivieren: Rathaus, Roland, Dom. Das Oberlicht passt sich durch eine intelligente Schaltung in Farbtemperatur und Intensität der jeweiligen Tageszeit an, um den Tag-Nacht-Rhythmus der Patienten zu unterstützen.

Mitarbeitende mit langem Geduldsfaden

"Das Wichtigste spielt sich aber in den Köpfen der Mitarbeitenden ab", betont Thomas Hilmer. Und Uwe Kaemena bestätigt: "Die Leute, die hier arbeiten, haben sich alle bewusst dafür entschieden." Sie hätten es gelernt, mit herausfordernden Situationen umzugehen. "Da haben wir eine relativ lange Zündschnur, wir ziehen alle an einem Strang."

Das wird auch in der Dienstbesprechung deutlich, an der Kolleginnen und Kollegen aus Medizin, Therapie, Pflege und Sozialdienst teilnehmen. Akribisch wird nicht nur über Genesung, Therapieerfolge und -rückschläge, fehlende Krankheitseinsicht und Medikamentengabe gesprochen, sondern auch über die Situation nach der Entlassung: Wie steht es um die Selbstständigkeit? Geht das, Wohnung im vierten Stock? Braucht es eine Kurzzeitpflege? Wer hat eine Vorsorge-Vollmacht? Essensversorgung? Pflegedienst? Kümmern sich die Nachbarn? Selten wird in Akutkrankenhäusern so sehr bis ins Detail die Situation der Patientinnen und Patienten bedacht.

 

Auch in anderen Städten wie etwa in Berlin, Neumarkt in der Oberpfalz, Gütersloh, Hannover und Leer gibt es Krankenhäuser, die sich auf Patienten mit Demenz einstellen. Doch es sind noch wenige. Niedersachsen hat als erstes Bundesland festgeschrieben, dass jedes seiner Krankenhäuser einen Demenzbeauftragten haben muss. "Ich halte das für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung", meint Demenz-Expertin Susanna Saxl-Reisen.

Ein Lichtblick also, aber es müsste mehr passieren. So sehr Ruhe für die Arbeit auf Station 83 wichtig ist, beim Ausbau der demenzsensiblen Versorgung in Akutkrankenhäusern in Deutschland wäre mehr Geschwindigkeit gut, sagt Thomas Hilmer. Das gelte auch für Bremen: "Wir können hier noch so eine Station gebrauchen."