Köln, Hamburg (epd). Die Polizisten, die wegen des Tods eines 16-jährigen Flüchtlings in Dortmund vor Gericht stehen, haben den Einsatz im Sommer 2022 nach Ansicht des Polizeiwissenschaftlers Rafael Behr „dramatisch falsch beurteilt“. Die Beamtinnen und Beamten hätten sich vermutlich durch das Verhalten des Jugendlichen mit einem Messer stark bedroht gefühlt, sagte der Professor für Polizeiwissenschaften am Dienstag dem Radiosender WDR5. Das habe zu der Fehlentscheidung geführt, mit einer Waffe wie der Maschinenpistole in den Einsatz zu gehen und nicht an andere Dinge zu denken.
Der Jugendliche aus dem Senegal, der sich zu dem Zeitpunkt in einer Dortmunder Jugendhilfeeinrichtung befand, war durch mehrere Polizeischüsse gestorben. Die Staatsanwaltschaft hat die fünf Polizistinnen und Polizisten angeklagt, der Prozess am Landgericht sollte am Dienstag beginnen.
Der 16-jährige Mouhamed Dramé soll die Absicht geäußert haben, sich mit dem Messer das Leben zu nehmen. Daraufhin wurde die Polizei von einem Mitarbeiter der Jugendhilfeeinrichtung zu der Einrichtung gerufen. Der Polizeiwissenschaftler betonte, er gehe nicht davon aus, dass die Beamtinnen und Beamten „mit Tötungsabsicht“ in Einsatz gegangen sind und auch nicht, dass der „Rassismusvorwurf handlungsleitend war“.
Die Fähigkeit, Gefahrensituationen differenziert einzuschätzen, kommt nach Ansicht Behrs in der Polizeiausbildung zu kurz. Das müsse stärker vermittelt werden, indem mehr verschiedene Einsatzszenarien besprochen werden. „Das muss mehr geübt werden“, mahnte der Professor von der Akademie der Polizei in Hamburg. Wenn in der Umgebung von Polizeikräften und in Ausbildungsinhalten die Frage von Lebensgefahr ständig präsent sei, könne das die Wahrnehmung beeinflussen und das gefühlte Gefahrenpotenzial erhöhen.