Beim Holocaust-Gedenken im Bundestag hat neben der Erinnerung an die NS-Opfer die Sorge um aktuelle Entwicklungen viel Raum eingenommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief bei der Gedenkstunde am Mittwoch zur Verteidigung der Demokratie auf und warnte vor einem Rückfall "in eine dunkle Zeit". Der ukrainische Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman forderte, "die Barbarei in die Schranken zu weisen".
Steinmeier betonte, die deutsche Demokratie sei "die Antwort auf Rassenwahn und Nationalismus". Wer die Demokratie angreife, "der ebnet auch den Weg zu Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit", warnte er. "Wir haben es in der Hand, das Errungene zu bewahren und unsere Demokratie zu schützen. Gehen wir nicht zurück in eine dunkle Zeit."
Es dürfe nicht zugelassen werden, dass "Antisemitismus Alltag ist in unserem Land, auf unseren Straßen und Plätzen, in unseren Schulen und Hochschulen", sagte der Bundespräsident weiter. "Wenn wir heute die Schoah verdrängen, verharmlosen, vergessen, dann erschüttern wir damit doch auch das Fundament, auf dem unsere Demokratie gewachsen ist."
Auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) forderte mehr Einsatz gegen Antisemitismus. Hier gebe es "enttäuschende Rückschritte". Viele Jüdinnen und Juden "fühlen sich nicht sicher in Deutschland", sagte Bas.
Bei diesem Thema seien alle gefordert, mahnte die Parlamentspräsidentin. "Mitmenschlichkeit zu leben ist keine Aufgabe, die man einfach delegieren kann - etwa an die Politik", sagte Bas. Man müsse sich fragen: "Was bin ich bereit, für das 'Nie wieder' zu tun?"
Der Holocaust-Überlebende Schwarzman sagte, für ihn sei die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus zur Lebensaufgabe geworden. Die historische und moralische Pflicht bestehe heute darin, "dass niemand mehr Leiden und Folter erfährt", sagte er. "Heute müssen wir erneut alles daran setzen, die Barbarei in die Schranken zu weisen."
Schwarzman verglich dabei Russlands Krieg gegen sein Land mit der Barbarei der Nazis. "Damals versuchte Hitler mich zu töten, weil ich Jude bin. Jetzt versucht Putin mich zu töten, weil ich Ukrainer bin", sagte er. "Ich flehe Sie an, uns zu bewaffnen, damit Putin diesen Vernichtungskrieg beendet", appellierte er.
Nach Schwarzmans Rede erhoben sich die Abgeordneten im Bundestag zum Applaus. Steinmeier dankte dem Gast für die Reise nach Berlin: "Ich empfinde es als eine Ehre, dass Sie heute zu uns sprechen." Zugleich sicherte er der Ukraine die weitere Unterstützung Deutschlands zu.
Mit der Gedenkstunde erinnerte der Bundestag an Opfer der Verbrechen im Nationalsozialismus. 1996 hatte der damalige Bundespräsident Roman Herzog den Jahrestag der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 zum Gedenktag proklamiert. Das Gedenken im Bundestag wird jährlich in zeitlicher Nähe zu diesem Datum abgehalten.