Nach Beobachtungen des Rechtsextremismus-Experten Martin Becher haben die Enthüllungen der NSU-Mordserie zu verstärkten öffentlichen Aktivitäten von Neonazis geführt. Offensichtlich habe es starke Bedenken gegeben, dass wegen der Taten viele Sympathisanten aus der Szene aussteigen könnten, sagte der Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus in Bad Alexandersbad am Freitag dem epd in Wunsiedel. Deshalb werde mit verstärkten Aktivismus versucht, die Leute durch immer neue Aufmärsche und Veranstaltungen zu binden.
"Es soll keine Besinnung, keine Reflexion und damit auch keine Kritik geben, sondern nur marschieren, marschieren, marschieren", sagte Becher. "Wenn man immer neue Termine hat, kommt man auch nicht auf andere Gedanken."
Gleichzeitig reagiert die Gesellschaft laut Becher zunehmend sensibel und schnell auf Demonstrationen von Rechtsextremisten. So komme es immer öfter zur Gründung von lokalen Bündnissen, wenn Veranstaltungen der rechten Szene angekündigt seien, erklärte der Experte am Rande des fünften "Wunsiedler Forums". Zu dem Treffen kamen am Freitag rund 80 Vertreter aus Bündnissen gegen Rechtsextremismus sowie aus Kommunen und Behörden zusammen, um sich unter anderem über Projekte gegen Fremdenfeindlichkeit auszutauschen.
Mehr als 100 Neonazis im Untergrund
In Deutschland leben außerdem laut Regierungsangaben weiterhin mehr als 100 zur Fahndung ausgeschriebene Rechtsextremisten im Untergrund. "Das Bundeskriminalamt geht mit Stand von Mitte September von zuletzt 110 mit offenen Haftbefehlen untergetauchten Rechtsextremisten aus", sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) der "Welt am Sonntag". Die Zahl könne sich allerdings durch Verhaftungen oder neu hinzugekommene Haftbefehle verändert haben.
Der CSU-Minister sagte, er gehe nicht davon aus, dass es Nachahmer der Neonazi-Terrorgruppe gebe, die wahllos Leute erschießen und darüber nichts verlautbaren lassen. "Aber dass es im rechtsextremistischen Milieu immer wieder fließende Übergänge zu gewalttätigen und terroristischen Strömungen geben kann, halte ich für möglich. Und dagegen müssen wir uns wappnen", betonte Friedrich.
Die Demokratie brauche deshalb einen "starken Verfassungsschutz". Zudem gebe es nun das behördenübergreifende Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus sowie die neu geschaffene elektronische Rechtsextremismusdatei.
Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU), ein Neonazi-Trio aus dem sächsischen Zwickau, soll in den Jahren 2000 bis 2007 insgesamt zehn Menschen ermordet haben. Opfer waren Kleinunternehmer mit ausländischen Wurzeln sowie eine Polizistin.