Flüchtlinge: "In Berlin fühlen wir uns fast willkommen!"

Foto: Cornelius Wüllenkemper
Die Berliner sind hilfsbereit: Zimmer, Duschen und Waschmaschinenbenutzung werden angeboten. Marlene arbeitet freiwillig im Infozelt, um all das zu organisieren.
Flüchtlinge: "In Berlin fühlen wir uns fast willkommen!"
Vor einer Woche haben Flüchtlinge und Asylbewerber, die auf einem Protestmarsch Änderungen des Asylrechts fordern, ihr Lager in Berlin-Kreuzberg aufgeschlagen. Auch wenn ihnen die Kälte zu schaffen macht und es noch an vielem fehlt, haben sie sich im Zeltlager eingerichtet. "Auf der Flucht haben wir schon schlimmeres erlebt", lautet die Devise. Die Unterstützung durch die Kreuzberger Bevölkerung ist groß. Am Samstag wollen die Camp-Bewohner auf einer Großdemonstration vor dem Bundestag auf sich aufmerksam machen.
13.10.2012
Cornelius Wüllenkemper

"Die letzte Nacht war wirklich kalt. Aber es geht schon, wir haben mittlerweile genug Decken." Der 29jährige Iraner Hamid steht auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg und versucht zu lächeln. Seit einer Woche wohnt er zusammen mit 57 anderen Flüchtlingen und Asylbewerbern in der Zeltstadt an der vielbefahrenen Oranienstraße im Herzen von Kreuzberg. Gerade kommt er von der täglichen Plenumsrunde, in der die politischen Ziele, logistische Probleme innerhalb des Camps und die Vorbereitungen zur Großdemonstration am Samstag besprochen wurden.

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Nachdem sie die 600 Kilometer von Würzburg nach Berlin zu Fuß zurückgelegt haben, wollen die Flüchtlinge jetzt direkt vor dem Bundestag auf ihre Lebenssituation aufmerksam machen. Sie demonstrieren gegen die Unterbringung in Heimen, für schnellere Asylverfahren und für die Abschaffung der Residenzpflicht.

"In Berlin fühlen wir uns fast willkommen", erzählt Hamid, der eigentlich das oberpfälzische Weiden nicht verlassen dürfte. "Wir erhalten unheimlich viel Unterstützung aus der direkten Nachbarschaft, die Leute bringen Kleidung, Decken, Matratzen oder auch Geld vorbei. Alles, was man so braucht." Erst kürzlich sei er nachts, als der Stromgenerator im Zeltlager abgeschaltet war, einfach über die Straße in einen Spätverkauf gegangen, um seinen Handy-Akku zu laden. In Kreuzberg fühlen sich die Flüchtlinge akzeptiert. Spontane Hilfsbereitschaft erlebt Hamid sonst nicht allzu oft.

"Ein Polizist hat uns sogar seine Nummer gegeben"

Im Schlafzelt liegen die Flüchtlinge dicht beieinander. Die Nächte in Berlin sind mittlerweile kalt. Foto: Cornelius Wüllenkemper

Im Info-Zelt am Eingang des Camps zieht Marlene einen prall gefüllten Aktenordner aus dem provisorischen Holzregal und blättert in einer seitenlangen Liste von Menschen aus der Umgebung, die den Flüchtlingen in ihren Wohnungen Schlafplätze, eine warme Dusche oder die Benutzung ihrer Waschmaschine anbieten. "Wir haben mehrere Dutzend Ärzte, Dolmetscher, Autobesitzer und Handwerker, die ihre Hilfe angeboten haben. Ein Polizist hat uns sogar seine Nummer gegeben, falls es mal Probleme gibt", erzählt die 30jährige mit leuchtenden Augen.

Marlene hat sich für eine der Vier-Stunden-Schichten im Info-Zelt eingetragen, nimmt Hilfsangebote am Telefon entgegen, hilft bei organisatorischen Fragen auf dem Zeltplatz oder erklärt Besuchern, worum es bei der Protestaktion geht. Schon wieder klingelt eines ihrer Handys, ein junger Mann aus Neukölln bietet ab sofort bis Sonntag zwei Schlafplätze in seiner Wohnung an. "Ein gutes Angebot", sagt Marlene zufrieden und notiert die Adresse. Noch mangelt es unter anderem an Plastikplanen, Taschenlampen, Herrenschuhen, dicken Socken und Benzin für den Strom-Generator.

Vorbei an drei Schlafquartieren in der Größe eines Partyzeltes, dem weiß-blauen Plenumszelt, das vielleicht einmal einem Zirkus gehört haben mag, gelangt man hinter dem Zelt mit der Kleidersammlung schließlich zur Küchenabteilung. Auf dem Rasen stehen ein paar Bierbänke an Tischen, Plastikstühle stapeln sich an der Zeltwand, in einem alten Regal stehen Türme aus Tellern. Im Hintergrund erkennt man ein prall gefülltes Regal mit Vorräten. Gerade kippt Mansu zehn Kilo Spaghetti in zwei große Kochtöpfe, die auf Camping-Kochern heiß werden. Seit 32 Jahren lebt der gelernte Koch in Deutschland. Er ist vor politischer und religiöser Verfolgung aus dem Iran geflohen und seit 26 Jahren deutscher Staatsbürger.

"Wir bleiben, bis wir unser Recht bekommen"

Maiwand (20) aus Afghanistan hilft beim Kochen. Foto: Cornelius Wüllenkemper

"Ich weiß noch zu gut, wie das damals war, ich kenne die Probleme dieser Leute. Als ich gehört habe, dass die Gruppe nach Berlin kommt, habe ich mich sofort gemeldet. Diese Menschen kommen aus Ländern, in denen gefoltert und gesteinigt wird. Niemand verlässt seine Heimat freiwillig!", sagt Manus überzeugt, während der 20jährige Maiwand aus Afghanistan mit einem großen Löffel die Bolognese umrührt. Neben ihm steht Sarah aus Neukölln. Die 21jährige studiert Sozialwissenschaften und hat von Mitternacht bis vier Uhr mit Leuchtweste und Walkie-Talkie ausgestattet eine Wachschicht mitgemacht. Bis 15 Uhr hilft sie jetzt in der Küche. Sie ist zufällig auf das Camp gestoßen und hat ihren Namen sofort auf eine der Helfer-Listen gesetzt.

"Ein Zeltlager, in dem viele verschiedene Kulturen und Schicksale aufeinandertreffen, ist nicht immer einfach zusammenzuhalten", meint der Iraner Hamid, als plötzlich laute Schreie aus der Platzmitte zu hören sind. Sofort hält das Stimmengewirr im Lager für einen Moment inne, so als drohe wirklich Gefahr. Aber es ist nichts, nur eine laute Auseinandersetzung zwischen einer Frau und einem Mann über ein "kulturelles Missverständnis", wie Hamid sagt. Die Stimmung im Lager, das wird immer wieder deutlich, ist nicht spannungsfrei.

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Seit Anfang September sind die Flüchtlinge nun unterwegs auf den Straßen zwischen Würzburg und Berlin, schlafen auf Matratzenlagern, essen im Stehen, diskutieren, wie es weitergeht und geben unzählige Interviews. Sie haben alles vorbereitet für die Großdemonstration am Samstag - dann können sie endlich gemeinsam mit anderen Vereinigungen ihre Forderungen vorbringen. "Wir haben jetzt ein großes Potential, weil wir zusammen sind", meint Hamid. "Wir bleiben auch nach der Demonstration auf dem Oranienplatz. Wir haben weitere Pläne, die wir umsetzen werden, bis wir unser Recht bekommen."