Erzbischof Marx und weitere leitende Mitarbeitende des Erzbistums zogen bei einer Pressekonferenz rund ein Jahr nach der Vorstellung des zweiten Missbrauchsgutachtens durch externe Rechtsanwälte eine erste Bilanz.
Marx sagte, die Perspektive der Betroffenen sei anfangs zu wenig berücksichtigt worden. Dies sei "unser größtes Defizit" gewesen: "Das müssen wir als Kirche, das muss ich als Erzbischof selbstkritisch einräumen." Für das bei den Betroffenen entstandene Leid bat Marx erneut um Verzeihung. Er werde dafür als Erzbischof stets in der Verantwortung stehen: "Ich kann Geschehenes nicht rückgängig machen, aber jetzt und zukünftig anders handeln. Und das tue ich!" Laut dem Kardinal "sind und bleiben" Prävention und Aufarbeitung zentrale Aufgaben der Kirche. Marx dankte Betroffenenbeirat und unabhängiger Aufarbeitungskommission.
Dem Erzbistum zufolge seien nach der Vorstellung des Gutachtens der Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) am 20. Januar 2022 bei der neu eingerichteten Anlauf- und Beratungsstelle 316 Anrufe eingegangen. Dabei habe es sich aber nicht nur um Missbrauchsbetroffene gehandelt, die Stelle sei etwa auch für Angehörige ansprechbar. Viele der Anrufe stammten auch aus anderen Bistümern und Erzbistümern. Seit Veröffentlichung des Gutachtens seien zudem 57 Meldungen bei der unabhängigen Ansprechperson für die Prüfung von Verdachtsfällen eingegangen - darunter auch Hinweise zu bereits bekannten Fällen, hieß es.
Dem vom Erzbistum selbst in Auftrag gegebenen WSW-Missbrauchsgutachten zufolge gab es in den Jahren 1945 bis 2019 Hinweise auf mindestens 497 Betroffene sexualisierter Gewalt im Erzbistum. Die meisten Taten passierten von Anfang der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre. Vorwürfe wurden auch gegen den inzwischen verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. erhoben: Er soll als Münchner Erzbischof (1977-1982) in vier Fällen nicht ausreichend gegen Täter vorgegangen sein.