Hannover, Schwerte (epd). Die Kunsthistorikerin Stefanie Lieb rechnet damit, dass in den nächsten Jahren zahlreiche katholische und evangelische Kirchengebäude verkauft und neuen Nutzungen zugeführt werden. „Die Prognose für die nächsten Jahre ist, dass die Kirchen rund 30 Prozent ihres Gebäudebestandes aufgeben müssen“, sagte die Professorin am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu seien die Kirchen aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen. Lieb ist Studienleiterin an der Katholischen Akademie Schwerte. Sie gehört zum Leitungsteam eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema „Sakraltransformation in Deutschland“.
Wünschenswert seien Nachnutzungen, die dem ursprünglichen Zweck nahestünden, etwa als Kulturzentrum, Museum oder Konzertsaal, sagte die Expertin. Aber auch der Umbau zu Wohnungen könne eine gute Lösung sein. Wer eine Kirche für einen neuen Zweck umgestalte, sollte von den Absichten der Erbauer und der Qualität der Räume ausgehen, rät sie: „Man sollte die sakrale Atmosphäre, die die Bauherren ursprünglich intendiert haben, mittragen und mit dem Konzept für die Umnutzung daran anschließen.“
Skeptisch zeigte sich die Wissenschaftlerin gegenüber einer Nachnutzung etwa als Supermarkt, „der genauso gut daneben im Container funktionieren könnte“, oder als Schnellrestaurant. Wenn möglich, sollte eine Kirche aus ihrer Sicht auch bei der neuen Verwendung ein öffentlicher Ort bleiben, da Kirchen traditionell Zufluchtsorte und Rückzugsorte seien, mit denen sich die Menschen identifizierten. „Wir sollten die Kirchen wieder mehr als sozialen Raum sehen, so wie es früheren Epochen auch war.“
Derzeit halte sich die Zahl umgenutzer Sakralgebäude noch in Grenzen, sagte Lieb. Von den bundesweit 24.000 katholischen Kirchen seien seit dem Jahr 2000 rund 500 aufgegeben und 100 umgenutzt worden. „Aber es nimmt jetzt mehr Fahrt auf.“ Einschließlich der evangelischen Kirchen gibt es nach ihrer Zählung deutschlandweit rund 50.000 Sakralgebäude. Im evangelischen Bereich wurde bisher ebenfalls eine dreistellige Zahl von Kirchengebäuden umgenutzt.
Der Denkmalschutz müsse einer neuen Nutzung von Kirche nicht zwingend im Wege stehen, erläuterte die Kunsthistorikerin. So sei eine frühere Kirche in Mönchengladbach mit Kletterwänden ausgestattet worden und so zu einem Ort des Sports geworden. „Das ist alles von der Denkmalpflege abgesegnet.“ Entscheidend sei, dass eine umgenutzte Kirche reversibel sei, also wieder in ihren Ursprungszustand zurückversetzt werden könne. Laut Lieb stehen 80 bis 90 Prozent der Kirchengebäude in Deutschland unter Denkmalschutz.