Nairobi (epd). Amnesty International hat die anhaltende Gewalt gegen die Bevölkerung in der äthiopischen Krisenregion Tigray angeprangert. Bei einem Luftangriff auf die Stadt Shire im Oktober seien Dutzende Zivilisten getötet worden, sagte der Amnesty-Experte für Äthiopien, Fisseha Tekle, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Nairobi. Weitere 46 Menschen seien im September nahe der eritreischen Grenze hingerichtet worden. Die äthiopischen Zentralregierung behaupte, dass sie versuche, Kämpfe rund um die Städte und zivile Opfer zu vermeiden, sagte Tekle. „Aber die Informationen, die wir bekommen, widersprechen diesen Aussagen.“ Tekle kritisierte eine „Kultur der Straflosigkeit“, die dringend ein Ende finden müsse.
Falls es zu einer Schlacht um die Regionalhauptstadt Mekelle kommen sollte, „wird das noch zerstörerischer“, warnte der Experte, der für Amnesty International Menschenrechtsverstöße in Äthiopien untersucht. Allein die Abschaltung des Internets und des Telefonnetzes in Tigray verletze das Menschenrecht auf Information, sagte Tekle. Sobald wieder mehr Kommunikation möglich sei, würden mit Sicherheit noch mehr Menschenrechtsverstöße bekannt.
Die Kämpfe in der nordäthiopischen Region Tigray hatten im November 2020 begonnen, wo ein Machtkampf zwischen der Zentralregierung und der bis dahin herrschenden Volksbefreiungsfront des Tigray (TPLF) eskaliert war. Inzwischen hat sich der Krieg auf mehrere Nachbargebiete ausgeweitet. Hunderttausende Menschen sind den UN zufolge auf der Flucht. Beiden Seiten werden schwere Menschenrechtsverbrechen zur Last gelegt. Die Kämpfe und die Blockade von Hilfslieferungen haben zu einer gravierenden humanitären Notlage in der Region geführt. Zuletzt haben die Kämpfe wieder zugenommen und die äthiopische Armee brachte die Städte Shire, Axum und Adwa unter ihre Kontrolle. Gleichzeitig haben am Dienstag in Südafrika Friedensverhandlungen begonnen.
Tekle verwies auf die schwierige humanitäre Versorgung in der Region. Der begrenzte Nachschub, der während einer humanitären Waffenruhe von April bis August geliefert wurde, sei nahezu aufgebracht. Der Amnesty-Experte hofft, dass die Friedensverhandlungen mit einer Waffenruhe enden. Zudem gehe es darum, „Menschenrechtsverletzungen zu stoppen, Täter zur Verantwortung zu ziehen und die grundlegende Versorgung sicherzustellen“, sagte Tekle. Wichtig sei auch, dass unabhängige Aufklärungsmissionen Zugang zu den betroffenen Regionen erhalten.