epd: Herr Landesbischof, nur noch wenige Tage, dann werden Sie aus Ihrem Amt verabschiedet und gehen in den Ruhestand. Wie fühlen Sie sich?
Frank Otfried July: Vom Verstand her ist mir das klar, aber ich merke, dass mich das emotional schon sehr beschäftigt. Ich habe 17 Jahre mit vollem Engagement dieses Amt gelebt: Das Bischofsamt ist ja keine Arbeit, bei der man um neun Uhr morgens anfängt und um fünf Uhr abends Feierabend hat, sondern es durchdringt alle Lebensbereiche, auch das Familienleben. Da ist es schon ein Abschied, und ein großer Schritt, wenn man eine ganze Vielzahl von erfüllenden Aufgaben abgibt.
Sie waren länger im Amt als Angela Merkel. Was waren für Sie die größten Herausforderungen?
July: Da gab es viele. Der Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden war ein großer Einschnitt für mich. Ich bin noch am selben Tag hingefahren und habe am Abend einen ersten Gottesdienst gehalten. In dieser Situation war ich selbst ratlos, was ich sagen sollte, aber habe dann Worte aus den Psalmen verwendet, die die Fragen an Gott ansprechen. Damals ist mir klar geworden, dass es Situationen gibt, wo eine Gesellschaft nach Worten sucht und dann dankbar ist, dass die Kirche Worte findet, die sie sich selbst nicht sagen kann. In solchen Situationen leihen wir der Gesellschaft unsere Orientierung, unsere Hoffnung.
Oft scheint es so, dass Kirche und der Halt im Glauben vor allem in Zeiten von Krisen und Katastrophen gefragt sind….
July: Das stimmt so nicht ganz. Ich denke zum Beispiel an den Evangelischen Kirchentag in Stuttgart 2015 zurück, wo die Gesellschaft gerne an diesem schönen kirchlichen Ereignis teilgenommen hat. Und selbst Menschen mit einem distanzierten Interesse an Kirche interessieren sich in ethischen Fragen wie dem Lebensschutz für die Haltung der Kirche. Beispielsweise hatte mich das Ensemble des Stuttgarter Staatstheaters zu einem Gespräch über Sterbehilfe eingeladen, weil sie ein Stück zu dem Thema im Programm hatten.
Eindrücklich war für mich auch 2010 die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Stuttgart mit Gästen aus 79 Ländern. Damals wurde eine Erklärung verabschiedet, in der die Lutheraner die Mennoniten um Vergebung baten für die Verfolgung, die durch lutherische Obrigkeiten im 16. Jahrhundert geschah. Als dann alle Delegierten auf die Knie gegangen sind und um Buße gebeten haben und ein gemeinsames Abendmahl feierten, spürte ich, dass dies nicht nur leere Worte waren, sondern dass sie etwas veränderten.
Im Jahr 2010 wurden Sie auch zum Vizepräsidenten des Lutherischen Weltbundes gewählt, wurden Aufsichtsratsvorsitzender der Diakonie in Deutschland und hatten dazu noch viele weitere Aufgaben. Haben Sie Probleme damit, Nein zu sagen?
July: (lacht) Manchmal schon. Ich räume ein, dass es eine Phase gab, wo ich zu viele Aufgaben hatte. 2010 gab es Momente, wo ich nur noch im Flugzeug oder Auto saß und dachte, du musst unbedingt wieder die Nachhaltigkeit deiner Arbeit stärken, das habe ich dann aber auch getan, denke ich.
"Ich räume ein, dass es eine Phase gab, wo ich zu viele Aufgaben hatte."
Wie stehen Sie zu einer Fusion mit der badischen Landeskirche?
July: Dazu ist noch nicht die richtige Zeit. Ich habe überhaupt keine Berührungsängste mit der badischen Landeskirche, im Gegenteil. Aber ich glaube, dass zwei gewachsene Einheiten, die gut aufgestellt sind, sich schwertun, diesen Schritt zu tun - auch wenn es schon naheliegend ist, dass zwei Landeskirchen in einem Bundesland intensiver zusammenarbeiten. Meinem früheren badischen Bischofskollegen und mir ist es gelungen, einen Prozess in Gang zu bringen, wo wir überlegen, wie wir gewisse Formen der Kooperation finden, die entlasten. Beispiele gibt es im Bereich der Verwaltung, bei Pfarrerfortbildungen und eventuell auch im Akademie- und Hochschulbereich.
Als Sie Bischof wurden, hatte ihre Landeskirche noch weit über zwei Millionen Mitglieder, nun ist sie unter die Zwei-Millionen-Marke gerutscht. Ist das nicht frustrierend?
July: Der Verlust von Gemeindemitgliedern, der auch andere Kirchen betrifft, beschäftigt mich sehr. Und es passt oft nicht zusammen, dass ich sehe, dass viele Menschen sich an der Arbeit ihrer Kirche und ihres Pfarrers freuen und diese schätzen, aber trotzdem austreten. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, weiterhin unseren Glauben und unsere Hoffnung weiterzugeben - egal, wie die gesellschaftliche Resonanz ist.
Ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn Sie doch noch ein Jahr verlängern müssten? Was würden sie auf jeden Fall anpacken?
July: Ich würde versuchen, noch mehr den Impuls zu geben, dass bei allen notwendigen strukturellen Debatten und Personalentscheidungen die Kirche sich auf ihre unverwechselbare Botschaft konzentriert und auf das Wirken des Heiligen Geistes vertraut. Wir sollten nicht der Öffentlichkeit vermitteln, dass es mit der Kirche immer nur weiter bergab geht. Manchmal finde ich es schade, dass zu wenig wahrgenommen wird, was wir bereits bewegt haben. Zwei Beispiele: Welche Landeskirche hat schon einen Instagram-Pfarrer oder eine Pfarrerin, die Pilgern mit Lamas anbietet? Ich habe mich auch sehr dafür eingesetzt, dass der Digitalisierungsprozess in Gang gekommen ist.
"Welche Landeskirche hat schon einen Instagram-Pfarrer oder eine Pfarrerin, die Pilgern mit Lamas anbietet?"
Die württembergische Landeskirche hat sehr unterschiedlich geprägte theologische Lager. Da gibt es die theologisch konservativen Pietisten, aber auch theologisch liberale Gruppen. War es da nicht schwierig, ein Bischof für alle zu sein?
July: Die verschiedenen Lager zusammenzubringen, war eine Herausforderung. In den bilanzierenden Artikeln zu meiner Verabschiedung werde ich öfter "Brückenbauer" genannt - ein schöner Begriff. Tatsächlich habe ich immer sehr darunter gelitten, wenn die Gruppen innerhalb der Landeskirche auseinanderdriften, und ich habe das Amt des Bischofs ganz stark als Dienst an der Einheit der Landeskirche gesehen.
Und wo war dann für Sie ein Punkt, wo Sie Konflikte bewusst in Kauf genommen haben, weil sie überzeugt waren, dass hier die Positionierung wichtiger ist als der Brückenbau?
July: Vielleicht ist es überraschend, wenn ich sage: Da wo ein Kompromiss gefunden wurde, da habe ich mich dann auch stark für diesen ausgesprochen. Das war in der Frage der Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren, wo wir einen Kompromiss gefunden haben, bei dem mir gleichzeitig klar war, dass dies nicht nur Beifall einbringt. Natürlich hat es geschmerzt, dass mir von beiden Seiten des Spektrums harte Vorwürfe gemacht wurden. Ich habe mit dieser Frage sehr gerungen, aber mich auch eindeutig positioniert.
Bald verlassen Sie das Stuttgarter Bischofshaus - wo ziehen Sie hin?
July: Wir ziehen aus familiären Gründen ins fränkische Windsbach. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns damit ganz von Württemberg verabschieden, schließlich wohnen dort Familie und viele Freunde.
Wie bereiten Sie sich auf den Ruhestand vor?
July: Auch nach meinem Ruhestand bleibe ich Präsident der Lutherakademie und habe noch mehrere Stiftungsvorsitze und weitere Ämter, sodass der Übergang in den Ruhestand fließend sein wird. Aber ich möchte auch ganz bewusst einen neuen Akzent in dieser Lebensphase setzen, Italienisch und Kochen lernen und für unsere große Familie da sein.
Verraten Sie uns noch Ihren Lieblingsbibelvers?
July: Da gibt es viele, aber der Vers in 1. Petrus 3,15 ist mir immer wieder wichtig geworden. Darin werden Christen dazu aufgerufen, Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die in ihnen ist. Das finde ich ein ganz aktuelles Bibelwort für den Weg unserer Kirche, die selbst diese Hoffnung immer wieder braucht und sie auch einer Gesellschaft weitergeben kann - vor allem in Krisenzeiten.
Ihr Nachfolger wird der derzeitige Ulmer Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Was wünschen Sie ihm?
July: Ich wünsche ihm Gottes Segen und Geleit und dass er bei der dichten Fülle der Aufgaben immer genau abwägt, welches Amt er annimmt. Denn es ist wichtig, dass er immer wieder Atemräume hat, um Kraft zu tanken.
epd: Wir danken für das Gespräch.