"Insbesondere war ich in den Anfangsjahren als Bischof von Münster bei manchen Auflagen, die ich Beschuldigten gemacht habe, zu milde und habe nicht hart genug durchgegriffen", sagte Genn am Freitag zu den Ergebnissen eines Missbrauchsgutachtens für das Bistum Münster. In einzelnen Fällen seien die Auflagen zudem nicht hinreichend kontrolliert worden. Auch habe er Pfarreien nicht rechtzeitig oder hinreichend über Missbrauchstäter informiert, die bei ihnen als Priester eingesetzt worden seien.
Als Konsequenz kündigte der Bischof an, Macht abzugeben zu wollen. "Als Bischof bin ich Seelsorger und 'Mitbruder', zugleich aber auch Vorgesetzter und Richter. Das empfinde ich als problematisch", sagte Genn. Er habe deshalb den Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke gebeten, die Einrichtung einer vorübergehenden kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bistum Münster zu prüfen, solange es noch keine Festlegungen hierzu aus Rom und auf Ebene der katholischen Deutschen Bischofskonferenz gebe. Einen Rücktritt schloss Genn aus. Er glaube nicht, dass er sexuellen Missbrauch vertuscht und die Interessen der Institution über die Sorge der Betroffenen gestellt habe.
Auch solle die Gremienstruktur im Bistum in einem sogenannten Prozess zur Entwicklung pastoraler Strukturen neu geordnet werden. Die Planungen dazu hätten bereits begonnen, sagte Genn. Er versprach zudem, dass Personalentscheidungen im Bistum Münster in Zukunft transparenter, nachvollziehbarer und partizipativer getroffen würden. Um Kontrollen zu verstärken, werde ab kommenden Jahr jedem Täter und Beschuldigten ein sogenannter Fall-Manager zugewiesen, kündigte der Bischof an. Diese Person solle unter anderem regelmäßig überprüfen, dass Auflagen eingehalten werden.
Am Freitag startete das Bistum auch ein neues Internet-Portal, über das Betroffene sexuellen Missbrauchs oder Zeugen mögliche Fälle sexuellen Missbrauchs anonym melden können. "Jede Meldung eines möglichen sexuellen Missbrauchs wird der Staatsanwaltschaft Münster übergeben", sagte Genn.
Ein unabhängiges Gutachten von Historikern der Universität Münster hatte am Montag mindestens 610 Missbrauchsopfer im Bistum Münster zwischen 1945 und 2020 offenbart. Die Kinder und Jugendlichen seien mehrheitlich zwischen zehn und 14 Jahre alt gewesen, ein Viertel von ihnen Mädchen, erklärte das fünfköpfige Wissenschaftsteam. Die Studie geht von etwa 196 beschuldigten Klerikern aus. Die Dunkelziffer liege wahrscheinlich bis zu fünfmal höher, hieß es.