Die Organisation "Religions for Peace" hat einen eigenen Ableger in Europa gegründet. Was ist ihr Ziel?
Peter Jörgensen: Ziel von "Religions for Peace" ist es, in den Gesellschaften in einer Weise Einfluss zu nehmen, dass Frieden und gutes Zusammenleben gefördert werden. Das geschieht weltweit. In Europa gab es bislang vier Entitäten - die der Jugendorganisation, der Frauenorganisation, nationale Organisationen und die Ebene der religiösen Führungspersönlichkeiten. Sie haben sich nun zu einer gemeinschaftlichen Nichtregierungsorganisation formiert.
Warum wurde Berlin als Standort ausgewählt?
Jörgensen: Da es bisher kein europäisches Vereinsrecht oder Stiftungsrecht gibt, muss sich eine Organisation wie "Religions for Peace Europe" in einem einzelnen Land gründen und registrieren lassen. Der Berliner Senat hatte die Einladung ausgesprochen, das zu unterstützen und sein Interesse an einer intensiven Kooperation deutlich gemacht.
Die Relevanz von Religion scheint im Alltag zurückzugehen. Warum sollen insbesondere die Religionen etwas bewegen können?
Jörgensen: Es scheint mir nur vordergründig so, dass die Bedeutung von Religion abnimmt. Es gibt auch eine Zunahme, die allerdings abseits institutioneller Strukturen abläuft: Menschen haben tiefgründige Fragen und suchen auch bei den Religionen nach Antworten und nach Sinn. Das ist insgesamt überhaupt nicht von gestern.
Wie können Religionen konkret friedensstiftend wirken?
Jörgensen: Ich war gerade kürzlich in Sarajevo und habe mit den Menschen gesprochen, die sich dort schon seit Langem für den Frieden engagieren. Sie haben große Angst davor, was in den nächsten Wochen oder Monaten passiert und davor, dass auch bei ihnen wieder Krieg ausbrechen könnte. Die Leute untereinander - als Muslime, Juden, Christen - haben einen Weg gefunden, den Schmerz auszuhalten, der immer noch stark ist aufgrund der Verletzungen des Krieges. Sie können sich untereinander öffnen und zueinander Vertrauen entwickeln.
Die Arbeit von "Religions for Peace" ist also eine Graswurzelarbeit?
Jörgensen: Ja, in erster Linie. Ganz praktisch werden beispielsweise schmerzvolle Erfahrungen in Trainings bearbeitet, Konflikte nicht einfach überspielt. Das ist der Kern: Religion verliert vielleicht an der Oberfläche an Relevanz. Aber dort, wo sich Menschen als individuelle Persönlichkeiten gegenüberstehen, hat es eine große Bedeutung. Darin liegt die Chance.
Gibt es diese Chance auch beim russischen Krieg gegen die Ukraine? Von außen scheint die Front zwischen den orthodoxen Kirchen verhärtet.
Jörgensen: Ja, ich sehe die Chance. In dem Moment, wo einzelne Menschen aus ihrer institutionellen Rolle heraustreten und mit einer geistlichen Haltung aufeinander zugehen, ist alles möglich. Papst Franziskus hat das gerade versucht, indem er Kyrill als Bruder anschrieb, nicht als staatstragende Persönlichkeit. Wenn Kyrill das an sich heranlassen würde, wäre alles denkbar. Hoffnung macht mir aber vor allem, dass es abseits der Führung in der russisch-orthodoxen Kirche viele Stimmen für den Frieden gibt, auch viele Verbindungen zur Ukraine.