Es ist ein ständiges Kommen und Gehen auf dem Parkplatz vor der ukrainisch-katholischen St.-Wolodymyr-Kirche in Hannover-Misburg. Menschen bringen Taschen voll mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten für die Ukraine.
Cornelia Kamp (67) schleppt Decken, Winterstiefel und Hygieneartikel in gelben Plastiksäcken zum Eingang der Kirche. "Nachdem ich vier Tage heulend vor dem Fernseher gesessen habe, habe ich mir gesagt: Du musst was tun", sagt die Rentnerin, die über Facebook vom Spendenaufruf der Kirchengemeinde für ukrainische Flüchtlinge und andere Kriegsopfer erfuhr. "Heute morgen war ich schon einmal hier und habe Medikamente und Verbandsmaterialien gebracht."
Im Saal des modernen 80er-Jahre-Kirchenbaus stapeln sich hunderte Plastiksäcke, Kartons, Isomatten und Schlafsäcke vor der mit Ikonen geschmückten Wand im Altarraum. Junge Frauen sortieren die Hilfsgüter, die am Abend in einem Bus zur polnisch-ukrainischen Grenze gefahren werden sollen. "Dort werden die Sachen umgeladen. Helfer von der Katholischen Universität in Lwiw bringen sie dann an die Front", erläutert Gemeinde-Sprecher Ingo Rauzov.
Rauzovs Gemeinde ist eine von mehr als 50 ukrainisch-katholischen Pfarreien in Deutschland. Viele von ihnen nutzen die kirchlichen Netzwerke, um Freunden und Verwandten in der Heimat zu helfen. Den Gemeinden gehören nach einer Schätzung der ukrainisch-katholischen Kirchenleitung in München bundesweit mehr als 70.000 Ukrainer und Menschen mit ukrainischen Wurzeln an. Insgesamt leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 135.000 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in Deutschland.
Zu den in Hannover lebenden Ukrainerinnen gehört Marichka Richert (26) - auch sie hilft an diesem Tag in der St.-Wolodymyr-Kirche. Ihre Eltern leben in Kiew. "Meine Mutter hat mir geschrieben, dass am Wochenende fast pausenlos die Sirenen heulten. Heute durfte sie zum ersten Mal wieder das Haus verlassen." Fünf Stunden habe die Mutter in der Schlange gestanden, um Lebensmittel zu kaufen. Doch die Supermärkte seien fast leer. Auch das dringend benötigte Bluthochdruck-Medikament werde bis auf weiteres nicht mehr geliefert, hieß es in der Apotheke.
Schmerzmittel fürs Kriegsgebiet
Vor der Kirche kommt Marichkas Ehemann Viktor Richert mit einem Kinderwagen vorbei, um seine Frau zu sehen. Der Software-Entwickler mit kasachisch-deutschen Wurzeln hat bereits am Morgen dutzende Packungen Paracetamol und anderer Schmerzmittel gekauft und privat bezahlt. "In der Menge dürfen die Apotheken das eigentlich nicht auf einmal abgeben. Der Apotheker hat aber eine Ausnahme gemacht", sagt er.
Aus seiner Sicht ist der Krieg in der Ukraine auch ein Medienkrieg. "Es regt mich auf, dass meine russlanddeutschen Bekannten nach wie vor russische TV-Sender einschalten." Dabei betreibe das russische Fernsehen systematisch Desinformation, auch in der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine.
Ähnlich sieht es Petro Podolskiy (29), der soeben mehrere Tüten mit Binden und Tampons in die Kirche gebracht hat. "Die Ukrainer verteidigen nicht nur ihr Land, sondern auch europäische Werte wie Diversität und Demokratie", findet der gebürtige Kiewer, der 1999 als Kind mit seinen Eltern nach Hannover gekommen ist. Er habe jedoch Verständnis dafür, wenn sich junge ukrainische Männer der Rekrutierung entzögen. "Ich habe Freunde in der Ukraine, die verstecken sich in Kornfeldern, weil sie bei ihrer Familie bleiben wollen."
Der ukrainische Widerstand sei dennoch enorm. "Auf der Straße ist eine unglaubliche Energie. Ich weiß zum Beispiel, dass Zivilisten in Kiew Straßenschilder abmontieren, damit sich die russischen Soldaten nicht orientieren können." Viele Kiewer wie etwa Podolskiys Onkel schreckten nicht davor zurück, ihre Häuser mit der Waffe zu verteidigen.
Darina Savchenko (27) hilft seit mehreren Stunden beim Packen und Sortieren. Die Krankenschwester lebt seit fünf Jahren in Hannover und ist seit Donnerstag in ständiger Sorge um ihre Eltern und Geschwister in Schytomyr. Über Messengerdienste und Telefon ist sie in ständigem Kontakt mit ihnen. "Morgens nach dem Aufwachen rufe ich als erstes meine Familie an und frage, ob noch alle leben. Das ist alles so schrecklich. Ich kann es immer noch nicht glauben."
Ingo Rauzov freut sich über die Spenden- und Hilfsbereitschaft, die seine Gemeinde in diesen Tagen erfahren hat. "Sach- und Geldspenden können wir weiterhin gut gebrauchen", betont der Gemeinde-Sprecher. Vermutlich werde die Versorgungslage in der Ukraine auch in den kommenden Wochen nicht besser werden. An diesem Abend suche er außerdem noch nach Menschen, die Kriegsflüchtlinge in Hannover und Umgebung eine Unterkunft anbieten können. Gegen Mitternacht sollen dutzende Ukrainer in Hannover ankommen.