Bremen (epd). Die Osteuropa-Expertin Susanne Schattenberg sieht kaum Chancen auf einen Friedensprozess zwischen der Ukraine und Russland. Der russische Präsident Wladimir Putin habe sich mit seinem Angriff in eine Lage manövriert, aus der es aus seiner Sicht keinen Weg zurück mehr gebe, sagte die Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Putin habe auf totalen Sieg gesetzt. Es würde ihn seine Macht kosten, wenn er plötzlich sagen würde, er habe sich geirrt und gebe sich nur mit den Provinzen Luhansk und Donezk zufrieden. „Die Entscheidung wird jetzt vermutlich auf dem Schlachtfeld herbeigeführt werden - mit allen grauenhaften Konsequenzen, die das mit sich bringt.“
Sie halte deshalb die jüngste Verhandlungsinitiative der Russen für reine Taktik, sagte Schattenberg. Dementsprechend seien die Unterhändler mit Maximalforderungen aufgetreten, also dem Rückzug der ukrainischen Regierung und der Abtretung von Gebieten. So hoffe Putin, die Stimmung im eigenen Land beeinflussen zu können. In der russischen Bevölkerung rege sich allmählich Kritik über das Vorgehen ihres Präsidenten. Die Bürger erführen trotz gelenkter Medien immer mehr über den Krieg und seine Opfer auch unter russischen Soldaten.
Putin hat sich aus Sicht der Osteuropa-Historikerin verkalkuliert, was das Tempo seiner sogenannten „militärischen Sonderaktion“ angeht. Er habe wohl tatsächlich geglaubt, dass er innerhalb von 24 Stunden Kiew besetzen und die Regierung austauschen könne. Zudem habe der russische Machthaber nicht mit dem geschlossenen Auftreten und den weitreichenden Sanktionen des Westens gerechnet. „Da stand ihm sein eigenes Weltbild im Wege. Er hat den Westen eher für einen verweichlichten, zerstrittenen Diskussionsladen gehalten, der nicht dazu fähig ist, geschlossen aufzutreten.“
Schattenberg mahnte, Putins Drohung, Atomwaffen zu nutzen, müsse ernstgenommen werden. „Ich fürchte, er ist eher bereit, Atomwaffen einzusetzen als Fehler einzugestehen. Und der Westen hat nichts, was er dagegenstellen kann.“ Allerdings habe Putin diese Drohung bislang nur gegenüber der Nato geäußert, nicht direkt gegenüber der Ukraine. Das eröffne die wenn auch nur kleine Chance, von Seiten der Nato mit ihm in Verhandlungen einzutreten.
Sie sehe letztlich nur zwei Szenarien, wie dieser Krieg enden könnte, sagte die Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas: Entweder die Ukraine behaupte sich und schmeiße tatsächlich sämtliche russischen Truppen aus dem Land. „Das wäre das Ende von Putin und hoffentlich der Beginn eines neuen Russlands, ein großartiger Triumph für Freiheit und Demokratie.“ Oder Putin werde Kiew erobern und die Regierung Wolodymyr Selesnskyis durch eine Marionettenregierung ersetzen. „Dann werden wir ziemlich dunkle Zeiten für die kommenden Jahrzehnte haben.“ Russland und seine Einflusssphäre würden dann noch stärker vom Westen getrennt sein als zu Zeiten des Kalten Krieges.