Hannover (epd). Der Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, hat die Reaktion des emeritierten Papstes Benedikt XVI. auf das Münchner Missbrauchsgutachten kritisiert. „Wenn Papst Benedikt auf 82 Seiten ausführt, es sei kein sexueller Missbrauch im engeren Sinne, wenn sich ein Täter vor einem Minderjährigen entblößt, onaniert oder pornografische Inhalte zeigt, dann hat er es immer noch nicht verstanden“, sagte Norpoth dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Samstag). Offenbar wolle Benedikt nicht wissen, was in seiner eigenen Kirche passiert sei.
Die Ignoranz wiege umso schwerer, weil Benedikt als Präfekt der Glaubenskongregation ab 1982 zwei Jahrzehnte lang für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegenüber Minderjährigen für die Weltkirche zuständig gewesen sei, sagte der Sprecher. Wenn er jetzt für sich neu definiere, was überhaupt sexueller Missbrauch von Klerikern bedeute, „dann lässt das sehr tief auf den mangelnden Aufarbeitungswillen der Kirche blicken“.
Das Gutachten macht Norpoth zufolge erstmals deutlich, wie Vertuschung über Bistumsgrenzen hinweg funktioniert habe. Nicht nur einzelne Ortsbischöfe, sondern Personen mit Rang und Namen in der Weltkirche hätten schwerwiegende Fehler gemacht. „Die Sprengkraft des Gutachtens besteht darin, dass sich einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, Joseph Ratzinger, selbst sein Lebenswerk zerstört hat.“
Der Betroffenensprecher forderte die deutschen Bischöfe auf, endlich deutlich zu formulieren, dass sie Schuld auf sich geladen hätten. Sie müssten sich eingestehen, „dass sie mit ihrem eigenen Handeln das Leben von Menschen zerstört haben und müssen sich dafür entschuldigen“, so Norpoth. Er wolle keine Rücktritte. Die Verantwortlichen sollten ihre Macht nutzen und die systemischen Ursachen von sexualisierter Gewalt abbauen. Sie sollten sich dabei nicht durch ein eventuelles Machtwort aus Rom einschüchtern lassen.
Laut dem unabhängigen Gutachten der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl soll Benedikt XVI. in mehreren Fällen nicht ausreichend gegen Missbrauchstäter vorgegangen sein. Insgesamt ergaben die Nachforschungen für den Zeitraum 1945 bis 2019 Hinweise auf mindestens 497 Betroffene sexualisierter Gewalt.