Als Reaktion auf anhaltenden Mitgliederschwund und gesellschaftlichen Bedeutungsverlust dringt der rheinische Präses Thorsten Latzel auf einen grundlegenden Umbau der evangelischen Kirche. Die aktuelle Form von "institutioneller Religiosität" mit Gemeinden, Kirchenkreisen und Landeskirchen sei fragil und stoße oft an ihre Grenzen, sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland am Mittwoch vor der digital tagenden Landessynode.
Nötig sei daher ein "wirklicher Systemwechsel". Es gelte, Kirche "nicht von unseren Strukturen her zu denken, sondern vom Kontakt zu den einzelnen Menschen". Dabei dringt Latzel aufs Tempo: "Was wir erkannt haben, sollten wir zügig umsetzen."
Die Zukunft der Kirche liege in Netzwerk-Modellen mit regional unterschiedlichen Lösungen, sagte der 51-jährige promovierte Theologe, der seit knapp einem Jahr an der Spitze der zweitgrößten Landeskirche mit mehr als 2,3 Millionen Mitgliedern steht. Latzel forderte mehr Kooperation in den Regionen und mit ökumenischen Partnern, eine stärkere Ausrichtung der Arbeit an allen Mitgliedern - auch den passiven -, und eine bessere digitale Kommunikation.
In einem Positionspapier der Kirchenleitung vom Sommer wird eine Reihe von Projekten und Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Landeskirche vorgeschlagen, unter anderem 50 "Modellgemeinden". Die Presbyterien (Leitungsgremien) der 643 Kirchengemeinden sollen demnach von Verwaltungsaufgaben entlastet werden - sie stöhnten unter den aktuellen Aufgaben, hieß es in der Debatte des Kirchenparlaments.
Besonders auf Menschen zwischen 20 und 40 Jahren will die rheinische Kirche zugehen, weil sie am stärksten zu Austritten neigten und für die Weitergabe des christlichen Glaubens an die nächste Generation zentral seien. Um regionale Kooperationen zu erleichtern, sollen Pfarrer:innen vermehrt auf der Ebene der 37 Kirchenkreise angestellt werden können.
In der Synode gab es viel Zustimmung zum Impulspapier, das den Wandel voranbringen könne. Allerdings wurde auch eine mangelnde Beteiligung etwa der evangelischen Jugend beklagt. Die Stimmen dieser und weiterer Gruppen und Gremien sollen nun in die weitere Behandlung des Themas einfließen. Die Debatte müsse handlungsorientiert sein, um von den Ideen auch "ins Umsetzen zu kommen", mahnte Latzel. Er nehme aber viele Aufbrüche und Veränderungswillen in den Gemeinden wahr.
"Zukunft unserer Kirche wird ökumenisch sein"
Mehr Zusammenarbeit wünscht sich der promovierte Theologe auch zwischen den Konfessionen, etwa durch konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. "Die Zukunft unserer Kirche wird ökumenisch sein", betonte er. Nötig sei zudem mehr gelebte geistliche Gemeinschaft.
Bei der Taufe sei man bereits sehr weit, aber beim gemeinsamen Abendmahl "sollten wir uns weiterentwickeln", sagte Latzel. Er beklagte, dass sich die evangelische Kirche in einer "Haftungsgemeinschaft" mit der katholischen Kirche befinde, auch wenn sie im Blick auf die Gleichberechtigung von Frauen, die Stellung von Priestern und Fragen der freien sexuellen Selbstbestimmung eine andere Lehre vertrete.
"Theologie mit schmutzigen Schuhen"
Mit Blick auf die Flutkatastrophe Mitte Juli im Gebiet der rheinischen Kirche sprach sich Latzel für eine "Theologie mit schmutzigen Schuhen" aus, die zu den Menschen vor Ort geht, sie unterstützt und christliche Hoffnung vermittelt. Das christliche Reden von Gott entstehe auch "aus tätiger Liebe angesichts von Leid", betonte er. "Für mich war Christus im Schlamm gegenwärtig an der Seite der Leidenden." Zu den kirchlichen Aufgaben in den kommenden Jahren müssten daher Seelsorge, diakonische Beratung und eine "heilende Erinnerungskultur" gehören: "Wir lassen die Menschen nicht allein."
Die Landessynode als oberstes Organ der rheinische Kirche beendet ihre fünftägigen Beratungen am Donnerstag. Dann will sie den Haushalt beschließen, ein neues Kirchenleitungsmitglied wählen und über Flüchtlingsschutz und Bekämpfung des Klimawandels reden. Beschlossen werden sollen unter anderem Maßnahmen, um bis 2035 klimaneutral zu werden. Die Kirche müsse auf allen Ebenen glaubhaft und konsequent ökologisch handeln und "nicht länger Bock, sondern Gärtner im Garten Eden sein", unterstrich Latzel.