Das Kirchenparlament der mehr als 2,3 Millionen rheinischen Protestanten berät wegen der Corona-Pandemie zum zweiten Mal in Folge als Videokonferenz, die Tagung endet am Donnerstag.
epd: Das Leben vieler Menschen hat sich in der Corona-Pandemie verändert: Vereinzelung und Vereinsamung haben zugenommen, eine wachsende Zahl von Menschen leidet unter Depressionen. Merken Sie auch in der Kirche einen erhöhten Seelsorge-Bedarf?
Thorsten Latzel: Ja, das ist leider so. Wir erleben das bei den professionellen Beratungs- und Seelsorgeangeboten von Kirche und Diakonie etwa in den Krankenhäusern, in den Schulen oder bei der Telefonseelsorge, aber auch in jeder einzelnen Kirchengemeinde vor Ort. Neben den öffentlich sichtbaren Problemen gibt es ein großes Maß an stillem Leiden, das man von außen zunächst gar nicht wahrnimmt. Viele Menschen sind erschöpft und wissen nicht mehr weiter. Kinder erleben, dass Mama und Papa auf einmal nicht mehr können. Andere leiden unter Einsamkeit, Existenzsorgen oder haben das Vertrauen verloren. Hier ist es wichtig, dass wir im Kontakt zu den Menschen bleiben und mit unseren Hilfsangeboten für sie da sind. Wir lassen niemanden mit seinen Problemen allein.
Seelsorge ist das Schwerpunktthema der bevorstehenden rheinischen Landessynode. Welche Rolle spielt Seelsorge in der Gesellschaft?
Latzel: Seelsorge kümmert sich, wie das Wort schon sagt, um die Seele, um das innere Geheimnis, die Hoffnungen, die Verletzlichkeit jedes Menschen. Als Christinnen und Christen sehen wir dabei in jedem Menschen ein Ebenbild Gottes, ein geliebtes Mitgeschöpf, um das wir Sorge tragen sollen. Wenn es Menschen in ihrer Seele nicht gut geht oder sie Schlimmes erlebt haben wie die Opfer der Überflutungen im Juli, brauchen sie Hilfe von anderen: neben dem intensiven Gespräch manchmal auch die kleine Seelsorge am Gartenzaun, das freundliche Gespräch. Auch die heilsame Berührung durch andere, die uns in Corona-Zeiten so sehr fehlt. Hier sind wir von Mensch zu Mensch gefragt. Es gibt aber auch eine Form der öffentlichen Seelsorge. Dazu gehören etwa Gottesdienste und Rituale, um gemeinsam erlittenes Leid zu verarbeiten und um Gott unsere Ängste klagen zu können. Und wir machen uns öffentlich für einen sorgsamen, wertschätzenden Umgang miteinander stark. Auch das heißt Seelsorge.
In den Flutgebieten ist Seelsorge vermutlich auch längerfristig gefragt. Wie stellen Sie sich als rheinische Kirche, deren Gebiet stark betroffen ist, darauf ein?
Latzel: Wir haben ein Büro eingerichtet, das die Hilfe von Kirche und Diakonie koordiniert, und eine Reihe von Helferinnen und Helfern entsandt, die in den betroffenen Gebieten für die Menschen unterwegs sind. Die Gemeinden vor Ort bieten Gottesdienste, Beratung und Seelsorge an. Kirchliche Orte sind in diesen Zeiten besonders wichtig für die Menschen, wir merken das zum Beispiel auf den Friedhöfen: Abschiednehmen und Trauer sind ganz wesentlich. Das Thema wird uns noch Jahre begleiten.