Der Hamburger katholische Erzbischof Stefan Heße hat für mehr Sensibilität mit Anliegen von Migranten geworben. Die Versuchung, den Nächsten geringzuschätzen und seine Bedürfnisse auszublenden, sei wohl in wenigen Handlungsfeldern so groß wie bei Fragen von Flucht und Migration, sagte Heße beim online stattfindenden ökumenischen Fachtag Migration. "Wir erleben dies aktuell auf bedrückende Weise an den östlichen EU-Außengrenzen." An der polnisch-belarussischen Grenze harren Tausende Migrantinnen und Migranten seit Monaten aus.
Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden verbinde alle Menschen auf der ganzen Welt unabhängig von Herkunft und Religion, sagte Heße. Die Corona-Pandemie habe zudem gezeigt, dass sie vor allem die vulnerablen Gruppen mit voller Härte treffe. Der Fachtag beschäftigte sich mit dem bereits im Oktober veröffentlichten Gemeinsamen Wort der Kirchen "Migration menschenwürdig gestalten".
Der 214 Seiten lange Text wurde in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) geschrieben. In sieben Kapiteln ordnen die Autorinnen und Autoren die aktuelle Situation in der Migrations- und Integrationspolitik ein und definieren Aufgabenstellungen für die Kirche.
Vorsitzende der ökumenischen Arbeitsgruppe waren Erzbischof Heße, der auch Vorsitzender der Migrationskommission der katholischen Deutschen Bischofskonferenz ist, und der im Frühjahr in den Ruhestand verabschiedete Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, als Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Gutes sehen, Probleme nicht kleinreden
Rekowski betonte, Migration sei ein globales Geschehen und daher eine globale Herausforderung. Eine Begrenzung der Debatten und politischen Maßnahmen auf eine nationale Dimension führe nicht weiter, sagte der evangelische Theologe. Heße sagte, in einer Welt mit über 280 Millionen internationalen Migranten sei die Gestaltung von Migration eine globale Zukunftsaufgabe. Gefordert sei das Engagement unterschiedlicher Akteure auf verschiedenen Ebenen: Politik, Zivilgesellschaft und Kirchen, in Kommunen und Ländern, auf Bundesebene, in Europa und weltweit. Dazu bedürfe es eines "krisenfesten ethischen Kompasses".
Der Sprecher für Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, betonte, was die nationale Perspektive auf Migration und Integration angehe, brauche es gute Leitbilder und Orientierung. Es sei wichtig, dass die Gesellschaft die Herausforderung nicht nur als Problem oder Bedrohung wahrnehme, sondern auch als etwas, das die Menschen aktiv mitgestalten könnten. Es brauche mehr Orte der Begegnung, sagte Castellucci, der auch Mitglied der EKD-Kammer für Migration und Integration ist. "Wir müssen auch die guten Aspekte der Migration hochhalten und gleichzeitig nicht das Risiko eingehen, uns vorwerfen zu lassen, wir würden die Probleme klein reden." Aufgabe der Politik sei es, das Zusammenleben derer zu gestalten, die da seien, und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die neu hinzukämen, gut ankommen könnten.