Politiker, Lehrer und Bürger müssten sich darüber im Klaren sein, dass eine pauschale Kritik am israelischen Staat konkrete Auswirkungen auf die Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschland habe. "Die Menschen wollen eine Antwort auf die Frage, wie sie den israelischen Staat kritisieren dürfen, statt zu fragen, wie es kommt, dass 76 Jahre nach der Schoah Antisemitismus weiterhin so virulent ist und das Wort Jude als Schimpfwort benutzt wird. Das ist paradox", sagte die Professorin an der Frankfurt University of Applied Science dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der israelbezogene Antisemitismus trete heutzutage viel häufiger auf als rassistischer Antisemitismus. Diese Form des Judenhasses erkenne man auch daran, dass Politik und Religion vermischt würden. So würden beispielsweise Juden in Deutschland permanent auf israelische Politik angesprochen und müssten sich rechtfertigen, weil ihnen eine Repräsentantenrolle zugeschrieben werde.
Jüdischer Staat werde dämonisiert
Jedes Mal, wenn der Nahostkonflikt eskaliere, bekämen Juden in der Diaspora dies deutlich zu spüren, so Bernstein. Der jüdische Staat werde als Unrechtsstaat und als Apartheitsstaat dämonisiert. Es finde eine Täter-Opfer-Umkehr statt, indem israelischen Politikern Nazi-Methoden vorgeworfen würden.
Sogenannte Israelkritik könne für Jüdinnen und Juden gefährlich werden. Hier müsse man besonders aufpassen, wann die Grenze zur verbalen Gewalt überschritten werde. "Israelbezogener Antisemitismus ist oft verschleiert", sagte sie. So seien bestimmte Narrative in weiten Teilen der Gesellschaft bis in die gebildete Mittel- und Oberschicht verbreitet und sogar normalisiert.
Weil Antisemitismus in Deutschland als längst geächtetes Phänomen der Vergangenheit gelte, hätten Menschen oft Probleme, Antisemitismus im eigenen Denken und Handeln zu erkennen, sagte Bernstein, Autorin des Buchs "Israelbezogener Antisemitismus - Erkennen, Handeln, Vorbeugen".
Müsse gewährleisten, Identität auszuleben
Israelfeindliche Äußerungen würden oft mit dem Einsatz für Menschenrechte oder der demokratischen Meinungsfreiheit legitimiert. "Es ist egal, wie man zum Nahost-Konflikt steht, man kann es sich in Deutschland nicht leisten, den Nahost-Konflikt beispielsweise im Schulunterricht ohne Berücksichtigung eigener Identitäten aller Akteure zu behandeln, ohne sich klarzumachen, dass Deutsche als Nachfahren von Tätern oder Mitläufern Gefahr laufen, Jüdinnen und Juden erneut zu diskriminieren oder bei einer verbalen oder physischen Diskriminierung jüdischer Kinder und Jugendlicher durch pro-palästinensische Akteure passiv zuzuschauen und das Ganze als legitime Wut zu bagatellisieren."
Oft fehle das Wissen über die Komplexität des Nahost-Konflikts. "Wenn man die Menschenrechte nach der Schoah ernstnimmt, muss man erst einmal dafür sorgen, dass alle Menschen hier ihre eigene Identität ausleben können - egal welche Religionszugehörigkeit sie haben oder welcher Ethnie sie angehören", forderte Bernstein.