Keine "Veranstaltung des kalten Krieges"

Abschlussfeier des 10. DEKT in Westberlin
© epd-bild / UK-Bild
Die Abschlussfeier des 10. Deutschen Evangelischen Kirchentags im Berliner Olympiastadion am 23.07.1961 in Berlin fand unter dem Motto "Ich bin bei euch" statt. Die Teilnehmer formierten sich auf dem Rasen zu einem Kreuz.
DDR verbot 1961 Kirchentag
Keine "Veranstaltung des kalten Krieges"
Vor 60 Jahren sollte in Ost- und West-Berlin der evangelische Kirchentag stattfinden. Doch es kam anders als geplant: Die DDR untersagte die Feier im Ostteil der Stadt - zur "Sicherung des Friedens". Wenig später wurde die Mauer gebaut.
19.07.2021
epd
Yvonne Jennerjahn

Am 19. Juli 1961 sollte in Ost- und West-Berlin der 10. Deutsche Evangelische Kirchentag beginnen. Doch dann kommt alles ganz anders: Am 8. Juli vor 60 Jahren gibt der Ost-Berliner Polizeipräsident einen Beschluss bekannt, der keinen Raum mehr für Missverständnisse lässt: „Im Interesse der Gewährleistung von Ruhe und Ordnung und zur Sicherung des Friedens ist der Evangelische Kirchentag in der Hauptstadt der DDR (Demokratisches Berlin) verboten.“

Als „Veranstaltung des kalten Krieges“ beeinträchtige der Kirchentag Verhandlungen über die „Lösung der Westberlinfrage“ und einen Friedensvertrag, heißt es zur Begründung des Verbots durch das Politbüro der SED. Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg protestiert mit einem Brief beim Ministerrat der DDR, die sächsische Kirchenleitung protestiert per Telegramm. Geholfen hat es nicht, die Kirche musste umdisponieren.

Keine typischen Kirchentagsveranstaltungen in Ost-Berlin, heißt es nun. Stattdessen „gottesdienstliche Veranstaltungen“ zu den Themen der Bibelarbeiten im Westen. Zur Eröffnung am 19. Juli schließlich predigt der Berliner Bischof Otto Dibelius in West-Berlin und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kurt Scharf, im Osten - mit überwältigender Resonanz.

Präses Kurt Scharf predigte beim Eröffnungsgottesdienst des Deutschen Evangelischen Kirchentags in der Ostberliner St. Marienkirche.

„Die Marienkirche musste anderthalb Stunden vor Beginn wegen völliger Überfüllung geschlossen werden“, erinnert sich ein Beteiligter. Auch die zur Verfügung stehende Ausweichkirche wird schon eine Stunde vor Beginn wegen des großen Andrangs geschlossen. Mit Bussen und Autos helfen Kirchentagsteilnehmer aus dem Westen beim Transport zu anderen Orten: „Für die Gemeinden Ost-Berlins war es ein beinahe nicht mehr zu glaubendes Bild. So sehr sind wir miteinander noch verbunden.“

Wirklich überraschend war das Verbot des Kirchentags für Ost-Berlin jedoch nicht über die evangelische Kirche gekommen. Schon rund anderthalb Jahre davor waren die ersten Ankündigungen, 1961 einen Kirchentag in beiden Teilen Berlins zu feiern, bei der DDR-Führung auf wenig Begeisterung gestoßen. „Alle Versuche durch Monate hindurch zu einer offiziellen Verhandlung über unsere Anträge zu gelangen, scheiterten“, schreibt Scharf Anfang 1961 in einem Brief. Die Vorbereitungen gehen trotzdem weiter, inoffizielle Gespräche werden positiv gewertet, eine Million Kirchentagsabzeichen werden beim VEB „Staatliche Porzellan-Manufaktur“ in Meißen bestellt.

Klaus von Bismarck, Präses Ernst Wilm und Bischof Kurt Scharf bei der Abschlussfeier im Berliner Olympiastadion am 23.07.1961.

Nach einem Gespräch zwischen Kirchen- und Regierungsvertretern „zur Frage eines Gesamtdeutschen Berliner Kirchentages“ am 30. Dezember 1960 heißt es offiziell am 11. Januar in einer Regierungserklärung: Der Kirchentag in München 1959 habe gezeigt, dass Vertreter der westdeutschen „Militärkirche“ bei dem Protestantentreffen „kirchliche Veranstaltungen und religiöse Anliegen christlicher Bürger zu Provokationen gegen die DDR“ nutzen wollten. Die Regierung könne deshalb „dem Antrag, den nächsten Kirchentag in Berlin durchzuführen, nicht entsprechen“.

Vortrag eines Redners zusammen mit einem Posaunenchor auf dem Kurfürstendamm, im Hintergrund die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.

Innerhalb der Kirche bricht im Frühjahr 1961 ein Streit über den geplanten Kirchentag aus. Martin Niemöller, Kirchenpräsident von Hessen-Nassau, sagt ab und ruft zum Boykott auf. Doch es bleibt bei Berlin. Die Verhandlungen mit DDR-Regierungsstellen gehen trotz negativer Vorzeichen weiter. Nun gehe es nicht mehr nur um den Kirchentag, „sondern überhaupt um die Einheit der Evangelischen Christenheit in Deutschland“, heißt es in einem Schreiben an den DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen.

Kirche im Grenzstreifen

Fast 43.000 Dauerteilnehmer verzeichnet schließlich die Kirchentagsstatistik für das fünftägige Protestantentreffen auf dem West-Berliner Messegelände, darunter knapp 20.000 aus der DDR, trotz Verbot und Behinderung. Mehr als 80.000 Menschen nehmen am 23. Juli an der Abschlussveranstaltung im Olympiastadion teil. Der Kirchentag, betont dort Kurt Scharf noch einmal, „ist ein gesamtdeutscher Kirchentag gewesen“.

Nur drei Wochen später beginnt die DDR mit dem Bau der Mauer. Am 31. August wird Kurt Scharf aus Ost-Berlin ausgewiesen. „Es ist ein Kirchentag, der objektiv und faktisch ein Argument im Kalten Krieg geworden ist“, so hat es der Theologe Helmut Gollwitzer zusammengefasst: „Das haben wir alle nicht gewollt.“