Die Corona-Pandemie hat viele christliche Gemeinden in die Krise gestürzt - das ist die Beobachtung des evangelischen Gemeindeberaters Johannes Stockmayer. "Man ist gerade emotional eher am Anschlag. Oft reicht eine Kleinigkeit und es explodiert", berichtet der Sozialpädagoge und Gemeindediakon aus dem württembergischen Metzingen dem Evangelischen Pressedienst. Zugleich seien Menschen derzeit noch mehr aufeinander angewiesen.
Mancherorts gebe es beispielsweise heftige Diskussionen und ideologische Grabenkämpfe rund um die Angemessenheit der Corona-Maßnahmen und die Bewertung der neuartigen Impfungen. "Fragestellungen, die das Gemeindeleben eigentlich gar nicht betreffen, werden fast zum Glaubensbekenntnis gemacht", sagt Stockmayer. Und noch etwas erhöhe den Druck gewaltig: Freien Gemeinden und Gemeinschaften gingen langsam die Gelder aus.
Internetformen verlieren an Reiz
Am einfachsten hätten es Gemeinden, die möglichst pragmatisch sind, aktuelle Regeln und Angebote verantwortungsbewusst sowie flexibel annehmen, gut kommunizieren und hybride Angebote schaffen, so dass online wie offline für jeden etwas dabei ist. "Sehr viel liegt an den jeweiligen Pfarrern und Pastoren - ob es ihnen gelingt, ihre Gemeinde zusammenzuhalten und für sie da zu sein. Eine große Gemeinde mit eher anonymer Gemeinschaft hat es jetzt allerdings schwerer, den Kontakt und die Beziehung zu erhalten." Viele Gemeindeglieder spürten gerade nichts voneinander. Zu befürchten sei, dass zahlreiche Gemeinschaften auch nach der Pandemie nicht mehr zueinander fänden.
Der Gemeindeberater verspürt anders als zu Beginn der Pandemie "eine wachsende Müdigkeit" gegenüber neu geschaffenen Internetformaten: "Sie verlieren ihren Reiz, und man hat keine Lust mehr darauf, da die Präsenz und die persönliche Beziehung fehlt." Sinkende Einschaltquoten für Online-Gottesdienste belegten dies. Dies sei angesichts des hohen Aufwands eine Enttäuschung für viele Ehrenamtliche.
Mitmachen ist entscheidend
Auch umgekehrt gilt laut Stockmayer: "Präsenzveranstaltungen brauchen künftig ihre Begründung. Eine abgelesene Predigt ohne Emotionen wird hierzu nicht ausreichen. Hingegen wird die persönliche Ebene - das Gebet miteinander und das Gespräch nach dem Gottesdienst - gefragt sein."
Stockmayers Zwischenfazit sieht für die großen Kirchen eher finster aus: "Ich fürchte, dass die christliche Kirche in dieser Krise an Relevanz verloren hat. Sie tritt zu selten in Erscheinung." Dem Empfinden vieler Menschen nach sei die Kirche in der Krise aufgrund fehlender Begegnungen abgetaucht. Entscheidend sei, ob es christlichen Gemeinden im Land gelingen werde, sich als "Beteiligungsgemeinde" zum Mitmachen neu zu erfinden.
Der Berater und Autor spiritueller Bücher rät "zur Suche nach dem geistlichen Selbstverständnis, einem klaren Auftrag, konkreten Zielen und umsetzbaren Schritten". Um bei den Menschen wahrnehmbar zu sein, komme es auf den Fokus an. Am besten durch die Krise kämen Gemeinden, die angesichts neuer Situationen "Mut finden, auch Neues zu wagen", verschiedene Sichtweisen rund um das Thema Corona akzeptierten und die "sich auf die Hauptsache konzentrieren: das Evangelium zu verkünden".