Frankfurt a.M. (epd). Der assistierte Suizid sollte nach Auffassung führender evangelischer Theologen nicht zum „Regelangebot“ für alle in diakonischen Einrichtungen werden. „Selbstverständlich gehört der assistierte Suizid nicht in das reguläre Aufgabenportfolio der Diakonie, er kann immer nur äußerster Grenz- und Ausnahmefall sein“, schreiben die Bochumer Theologin Isolde Karle, Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und der Münchner Theologe Reiner Anselm in einem am Dienstag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichten Gastbeitrag.
Anselm, Karle und Lilie hatten mit einem Gastbeitrag in dergleichen Zeitung im Januar zum Thema assistierter Suizid eine innerkirchliche Debatte ausgelöst. Sie hatten sich darin für die Möglichkeit zur Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen ausgesprochen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) lehnt organisierte Suizidassistenz offiziell ab - unabhängig davon, in welcher Einrichtung diese stattfindet. Auch die katholische Kirche ist gegen Sterbehilfe. Als Kirche begleite man Sterbende auf ihrem letzten Weg, hatte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm Anfang Mai gesagt. Eine kirchlich-diakonische Einrichtung solle sich aber nicht selbst an der Organisation und Durchführung der Suizidassistenz beteiligen.
Ausgelöst wurde die Debatte durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, das das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung kippte, das 2015 vom Bundestag beschlossen worden war. Nach Kritik an der möglichen Suizidbeihilfe hatte der Deutsche Ärztetag Anfang Mai dann aber das Verbot der Suizidassistenz für Medizinerinnen und Mediziner aus seiner Berufsordnung gestrichen.
Die drei Autoren nehmen nun erneut Stellung. Sie wollten den Fokus auf ein Schutzkonzept legen und eine mögliche Suizidassistenz ausschließlich auf die Situation schwerst- und sterbenskranker Menschen beziehen, erklärten sie. „Wir teilen die Ansicht, dass der assistierte Suizid die Ausnahme bleiben muss“, schreiben Anselm, Karle und Lilie. Für ein Schutzkonzept seien die „behutsame Beratung und Seelsorge“ in diakonischen Einrichtungen grundlegend. Dadurch würden Suizidwünsche nicht länger verschwiegen, sondern könnten ausgesprochen und dadurch bearbeitet werden. „Ein offenes Gespräch dient viel besser der Suizidprophylaxe als eine Tabuisierung von Suizidwünschen“, schreiben die Autoren.
Aus christlicher Sicht gebe es zwar ein uneingeschränktes Recht auf Leben, aber keine Pflicht zum Leben. Eine Person dürfe nicht gegen ihren ausdrücklichen Willen zum Weiterleben gezwungen werden, erklärten die drei Theologen. „Nur wenn Diakonie und Seelsorge jede Form der Belehrung und jede Attitüde moralischer Überlegenheit vermeiden, wird sich ein suizidwilliger Mensch ernstgenommen fühlen und gegebenenfalls nochmals über seine Entscheidung nachdenken.“
Die Autoren wenden sich auch gegen die These, die Möglichkeit zur Suizidassistenz werde einen Dammbruch bewirken und möglicherweise auch zu einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen führen. Es sei nicht zu erkennen, warum die Akzeptanz einer Suizidhilfe im Einzel- und Ausnahmefall zu einer legislativen Ausweitung auf eine Tötung auf Verlangen führen sollte. „Geregelte Verfahren sind nicht mit Regelmäßigkeit gleichzusetzen.“