Theologin: Berührungen, Blicke und Gerüche bleiben auf der Strecke

Mann umarmt Baum
©Getty Images/iStockphoto/gidl
Sinnliche Wahrnehmungen, Berührungen, Umarmungen aber auch direkte Blicke vermissen die Menschen in der Pandemie.
Theologin: Berührungen, Blicke und Gerüche bleiben auf der Strecke
Die Theologin Claudia Jahnel über die Bedeutung von Körperlichkeit in Corona-Zeiten
Durch die körperliche Isolation in der Corona-Pandemie fehlt den Menschen Entscheidendes, sagt die Theologin Claudia Jahnel. Es gehe vor allem um sinnliche Wahrnehmungen, sagt die Forscherin, deren Spezialgebiet die interkulturelle Theologie und Körperlichkeit ist.
29.03.2021
epd
epd-Gespräch: Christine Ulrich

So vermisse der Mensch in seinem Bedürfnis nach Berühren und Berührtwerden etwa die Umarmungen, sagte Claudia Jahnel dem Evangelischen Pressedienst: "Jedes Streicheln setzt eine ganze Apotheke frei", sagte die Wissenschaftlerin, die in Erlangen lebt und an der Ruhr-Universität Bochum den bundesweit einzigen Lehrstuhl für Interkulturelle Theologie und Körperlichkeit innehat.

Auch das Sehen komme beim digitalen Arbeiten und Lernen zu kurz: Bei Videokonferenzen etwa sei technisch kein Blickkontakt zwischen den Teilnehmenden möglich. Dabei sei dieser so wichtig, sagte Jahnel: "Über ihn gewinnen wir Anerkennung und Bestätigung." Wenn man sich ständig selbst auf dem Bildschirm betrachte, könne das für Entfremdung sorgen. Auch das Riechen fehle für die Weltwahrnehmung, ebenso die Bewegung im Raum.

Körperlicher Ausgleich ist wichtig

"Der Körper besteht nicht nur aus Daten, er braucht Resonanz", sagte die Professorin. Sinnliche Erfahrungen schafften Bewusstsein und machten Gefühle abrufbar. Der ganze Körper sei in Wissensprozesse eingeschlossen, das könne das Digitale "nicht in dieser Fülle abbilden". Im Homeoffice erlebten Menschen bisweilen eine psychische "time-space compression": "Man sitzt immer im gleichen Zimmer und ist gleichzeitig mit der ganzen Welt verbunden." Abends sei man oft über die Maßen erschöpft - die fehlende Bewegung müsse allein der Kopf kompensieren.

Raumwechsel und Flanieren seien wichtig, weil Körper und Geist keine getrennten Einheiten seien, so die Theologin. Es brauche körperlichen Ausgleich, denn "kreativ denken kann man nur mit seinem Körper". Erst in den Pausen könne sich "das Denken setzen".

Der Mensch habe zudem eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, die auch der Grund für die Gartenkultur sei: "Die Menschen wollen in der Erde wühlen, das Leben und die Lebendigkeit spüren", sagte Jahnel. Zugleich sei Körperlichkeit immer auch etwas Soziales, der Körper sei "auf Zwischenleiblichkeit ausgerichtet". Das berühre auch die Frage der gemeinsamen Vulnerabilität, der Solidarität und Fürsorge in der Corona-Krise.