Im Grunde ist es unnötig zu erwähnen, dass "München Mord" nur in München spielen kann; sonst trüge die 2014 von Alexander Adolph und Eva Wehrum erfundene Reihe ja einen anderen Titel. Aber die Handlungen sind derart in der bayerischen Landeshauptstadt verwurzelt, dass ein Transfer etwa nach Berlin oder Hamburg unmöglich wäre. Auch die zwölfte Episode, "Der Letzte seiner Art", erzählt so eine Geschichte, die ähnlich wie "Leben und Sterben in Schwabing" (2019) mit einer gewissen Wehmut von den Zeiten schwärmt, als Ganoven noch Gentlemen waren.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Einer aus der alten Riege ist nach 30 Jahren in Kalifornien zurückgekehrt: In den 70ern und 80ern hat Gustav Schmidinger im Bahnhofsviertel den Drogenhandel und die Prostitution kontrolliert. Er galt als "der Pate von München", und so verkörpert Martin Umbach ihn auch: Einerseits ist der Mann, der sich seine alten Jagdgründe zurückholen will, ein Fossil, andererseits umgibt ihn eine Aura, der man sich kaum entziehen kann. Kriminaloberkommissarin Angelika Flier (Bernadette Heerwagen) wird in seiner Nähe ganz wuschig: Der gealterte Playboy hat nichts verlernt und bombardiert sie derart mit unverblümten Avancen, dass es wohl selbst "MeToo"-Aktivistinnen die Sprache verschlüge. Ein ähnliches Vergnügen ist das darstellerische Kräftemessen zwischen Umbach und Alexander Held als Chef des Ermittlertrios.
"Der Letzte seiner Art" ist die vierte Episode in Folge, bei der Jan Fehse Regie geführt hat. Die anderen drei waren zwar sehenswert, aber das lag vor allem an den Dialogen und den schauspielerischen Leistungen; die Geschichten (alle drei von Friedrich Ani und Ina Jung) waren etwas dünn. "Ausnahmezustand" (2020) zum Beispiel lebte in erster Linie von den liebevollen Beobachtungen im skurrilen Fußballfan-Milieu der „Sechziger“.
Die jüngste Episode hat nun Peter Kocyla geschrieben. Der Name wird selbst Drehbuchexperten nicht viel sagen; seine Filmografie weist neben einigen dokumentarischen Arbeiten vor allem Beiträge für die ZDF-Serie "Die Chefin" auf. Allerdings hat er 2019 gemeinsam mit Rafael Parente für einen TV-Höhepunkt gesorgt: Die später auch von ZDF Neo ausgestrahlte Sky-Serie "8 Tage" (2019) erzählt, wie einige Berliner ihre letzte Lebenswoche verbringen, als ein Asteroid auf die Erde zurast.
"München Mord" ist natürlich ein völlig anderes Genre, aber Kocylas guter Blick für besondere Figuren passt perfekt zu der Reihe; und seine Dialoge sind ein Genuss. Das gilt nicht nur für die Gespräche zwischen Flierl und Schaller auf der einen sowie Schmidinger auf der anderen Seite; die vergifteten Komplimente, mit denen sich Schaller ein ums andere Mal subtil über seinen Vorgesetzten Zangel (Christoph Süß) lustig macht, sind erlesen formuliert und wunderbar vorgetragen. Der Kriminaloberrat stilisiert seine einstigen Ermittlungen gegen den Paten zu einem Zweikampf auf Augenhöhe, aber Schmidinger kann sich nicht mal mehr an ihn erinnern; und die Schlagzeilen, die das Trio auf alten Floppy-Disks findet, widersprechen Zangels Selbstbeweihräucherung ebenfalls ganz erheblich.
Die Geschichte selbst lässt sich dagegen auch diesmal rasch skizzieren: Während Schaller aus dem Off über die Sehnsucht nach der nur vermeintlich "guten alten Zeit" sinniert, die in Wirklichkeit bloß Wunschdenken sei, wird in der Nähe des Bahnhofs hinterrücks ein Mann erstochen. Es zeigt sich, dass Schmidinger seinen früheren Weggefährten Rudi als Double engagiert hat; somit ist klar, dass die Tat eigentlich dem Paten galt.
Die Frage ist nur: War’s ein alter Feind oder ein neuer Feind? Zwei Verdächtige drängen sich besonders auf: Statthalter Ascher (Alexander Beyer) war womöglich nicht besonders erfreut darüber, dass sein Chef die Fäden nun wieder selbst in die Hand nehmen will; und dann ist da noch eine Konkurrentin mit albanischen Wurzeln, die ihr erfolgreiches Prostitutionsgewerbe als Pflegedienst kaschiert. Die Besetzung dieser Rolle mit Edita Malovcic ist gleichfalls ein Gewinn für den Film, zumal sie ein reizvolles Flirtspiel mit Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) treibt, dem Dritten im Ermittlerbunde.
Eine weitere Paarung ergibt sich durch die Gespräche zwischen Schaller und Schmidingers Ex-Frau (Jeanette Hain), wobei es diesmal nicht bei Wortgefechten bleibt: Die beiden liefern sich tatsächlich ein veritables Säbelduell. Ähnlich gelungen sind die Momente, in denen Heerwagen und Mittermeier bloß mit Blicken arbeiten, die genauso witzig wie die Dialoge sind.