Gerade erst ist in der evangelischen Gemeinde Bad Reichenhall das Leben nach den Corona-Monaten und Sommerferien wieder richtig angelaufen, da kommt die nächste Vollbremsung: Seit Dienstag, 20. Oktober, 14 Uhr steht nach dem faktischen Lockdown im Landkreis Berchtesgaden auch bei den bayerischen Protestanten wieder fast alles still.
Zum ersten Mal seit März hätte an diesem Tag im Reichenhaller Gemeindezentrum wieder ein Seniorengeburtstag stattfinden sollen, mit 17 Jubilaren zwischen 70 und 100 Jahren. "Viele hatten schon in den letzten Tagen vorsorglich abgesagt, jetzt mussten wir endgültig absagen", sagt Pfarrerin Claudia Buchner mit Bedauern.
Chöre und Konfirmanden in Zwangspause
Auch der Konfirmandenunterricht liegt auf Eis. Die evangelische Gemeindebücherei, die im Kurort den Rang der Stadtbibliothek belegt, ist dicht. Und die Chöre machen eine erneute Zwangspause. "Das ist vor allem für die Kinder und Jugendlichen schade, die so happy waren, als es Mitte September wieder losging", sagt Buchner.
Die Kurseelsorge-Saison ist ohnehin zu Ende, der letzte Berggottesdienst entfällt nun, weil die Gondel den Betrieb eingestellt hat und die Pfarrerin nicht nach draußen einladen möchte, wenn alle drin bleiben sollen. Das Team der Klinikseelsorger traf sich noch am Dienstagmittag zu einer Krisensitzung, in der die nächsten Tage geplant werden sollten.
Gottesdienste können weiter stattfinden
Froh ist Claudia Buchner darüber, dass die Gottesdienste, Friedensgebete, Taizéandachten in der Stadtkirche weiter stattfinden können. "Die Leute waren zuletzt unglaublich dankbar und gerührt, dass in den Kirchen etwas läuft", sagt Buchner über die letzten Wochen. Allerdings reduzieren die Reichenhaller jetzt, wie die katholischen Kollegen auch, freiwillig den Gemeindegesang, um nicht unnötig Viren über die Luft zu verteilen. Harfe und Klavier, der Gesang des Kantors, das Orgelspiel: "Viele empfinden das als Kraftquelle, in der Kirche schöne Musik zu hören." So wird auch der Festgottesdienst zum Reformationstag am 31. Oktober stattfinden: Ohne festliche Kantate, aber mit Musik.
Besonders bitter findet die Pfarrerin, dass sie am Reformationstag vier Kinder getauft hätte, die das Sakrament bereits während des ersten Lockdowns nicht empfangen konnten. "Da muss ich jetzt anrufen und absagen", sagt sie. Allgemein nehme sie gerade eine "große Ernüchterung und Traurigkeit" wahr. Die Schulkinder seien an ihrem letzten Unterrichtstag ungewöhnlich still gewesen. "Für sie ist es schlimm, dass es nicht mehr ist wie früher, dass man nicht ausgelassen sein kann, keine Geburtstage feiern darf", sagt Buchner. Dass Kinder beim Thema Erntedank notieren, dass sie dankbar für den Schulbesuch sind, sei ihr früher nie passiert.
Auch bei den Mitarbeitern der Gemeinde spüre man den Dämpfer des zweiten Lockdowns. "Man plant etwas, freut sich darauf, und dann muss es doch anders stattfinden", fasst die Pfarrerin zusammen. Es werde schwerer, die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität nicht zu verlieren. "Wir behalten die Hoffnung", sagt die junge Pfarrerin ein bisschen trotzig, "aber es kostet unheimlich viel Energie".