Berlin (epd). Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) arbeitet an einer gesetzlichen Regulierung für das Recht auf assistieren Suizid. In einem Brief an Ärztevertreter, Verbände und Kirchen bittet der Minister um Vorschläge für Eckpunkte einer Neuregelung, wie der "Spiegel" in einer Vorabmeldung vom Freitag berichtete. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz bestätigten dem Evangelischen Pressedienst (epd), dass ihnen der Brief vorliege. Am Vorgehen des Ministers wurde am Freitag auch Kritik laut.
Hintergrund für Spahns Vorstoß ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende Februar. Die Richter in Karlsruhe hatten das seit 2015 geltende Verbot organisierter Hilfe beim Suizid gekippt. Die Vorschrift sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, hatte das höchste deutsche Gericht erklärt. Es sei dem Gesetzgeber aber nicht untersagt, die Suizidhilfe zu regulieren.
Er wolle die Möglichkeit eines "legislativen Schutzkonzeptes" nutzen, schrieb Spahn laut "Spiegel" Mitte April in dem Brief. Zum Schutz der Selbstbestimmung "gehören nach meinem Verständnis auch Lebensschutz beziehungsweise Fürsorge". Menschen mit eingeschränkter Selbstbestimmung müssten "vor sich selbst (und einem irreversiblen Schritt wie dem Suizid)" geschützt werden.
Die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert Spahns Vorgehen als "intransparent". In einer Antwort auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsabgeordneten Katrin Helling-Plahr hatte das Bundesgesundheitsministerium Ende Mai geschrieben, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes noch ausgewertet werde. Es bleibe abzuwarten, ob die Abgeordneten des Bundestages beispielsweise durch Gruppenanträge für eine Neuregelung aktiv würden.
"Jetzt ist aber herausgekommen, dass Minister Spahn bereits im April 2020 insgesamt 30 verschiedene Institutionen, Vereine und Verbände angeschrieben hat und um Stellungnahmen zu wesentlichen Eckpunkten zur Neuregelung der Sterbehilfe gebeten hat", sagte Helling-Plahr am Freitag. Sie warf dem Minister vor, ausschließlich Experten gefragt zu haben, die gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe seien und damit die liberalen Denkanstöße des Bundesverfassungsgerichts zu ignorieren.
Es gebe zwischenzeitlich schon erste Gespräche für einen interfraktionellen Gruppenantrag, sagte Helling-Plahr dem epd. "Es darf deshalb keinen Spahn'schen Schnellschuss geben, sondern eine breite, von allen Parlamentariern akzeptierte Debatte über die Neuregelung des Sterbehilferechts."
Spahn hatte bereits nach dem Urteil angekündigt, er wolle eine neue Regelung erarbeiten mit Blick auf Beratungspflichten, Wartefristen und den Umstand, dass je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbewillens gestellt werden könnten. Der Minister selbst gehörte 2015 zu den Unterstützern des Verbots der geschäftsmäßigen Suizidassistenz.
Auch die beiden großen Kirchen hatten sich nach der Urteilsverkündung enttäuscht geäußert. "Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen", hatten der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und der damalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, Reinhard Marx, erklärt.