Man müsse damit rechnen, dass sich insbesondere Jüngere bewusst anstecken wollten, um in den Genuss von Freiheiten zu kommen, sagte Peter Dabrock dem Evangelischen Pressedienst. Dann drohe nicht nur für das Individuum, sondern bei einem größeren Ausmaß von Infektionen für die ganze Gesellschaft "ein Riesenproblem".
"Sehr schnell könnten die Kapazitäten im Gesundheitswesen knapp werden", sagte der Sozialethiker: "Die Folge wären fürchterliche Triageszenarien." Dabrock räumte ein, er sei beim Thema Immunitätsausweis selbst "moralisch hin- und hergerissen" gewesen. "Auf den ersten Blick fand ich es gut, dass all diejenigen, die das Virus durchgemacht haben, sich mit einem solchen Dokument normal und frei bewegen dürfen", sagte er.
Auf den zweiten Blick sei es aber komplizierter, sagte er mit Verweis auf die Gefahr beabsichtigter Ansteckungen. Zudem wisse man auch nicht, ob und wie lange die Immunität beim Coronavirus trägt. "Deshalb spricht derzeit ethisch mehr gegen die Einführung dieses Ausweises, obwohl ich nicht weiß, wie es ein Verfassungsgericht beurteilen würde", sagte Dabrock. Anders sieht er es für den Gesundheitsbereich: "Ein Immunitätsausweis für Krankenhauspersonal könnte helfen, Testkapazitäten, die immer noch knapp sind, nicht unnötig zu verbrauchen", sagte Dabrock.
Der evangelische Theologieprofessor war vier Jahre Vorsitzender des Deutschen Ethikrats und schied nach den maximal möglichen zwei Amtsperioden in diesem Jahr aus dem Gremium aus. In den ersten Beratungen des neu zusammengesetzten Ethikrates dürfte es auch um den Immunitätsausweis gehen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Gremium um eine Stellungnahme gebeten. Er selbst wollte solch einen Ausweis einführen, hatte entsprechende Gesetzespläne nach Kritik aber wieder zurückgestellt, um das Thema ausführlicher zu debattieren.