Als Glocken noch Siege verkündeten

Kirchenglocke im Turm der Marktkirche in Hannover.
© epd-bild/Jens Schulze
Täglich um 19:30 Uhr läuten im Augenblick Kirchenglocken katholischer und evangelischer Gemeinden rufen gemeinsam zum Gebet in Corona-Zeiten auf.
Als Glocken noch Siege verkündeten
Sachverständiger Claus Huber über die Kommunikation des Läutens
Täglich um 19:30 Uhr läuten im Augenblick Kirchenglocken katholischer und evangelischer Gemeinden und rufen damit zum gemeinsamen Gebet in Zeiten von Social Distancing auf. Von der (auch historische) Bedeutung des Läutens berichtet der Glockensachverständige Claus Huber.
15.05.2020
epd
Susanne Müller

Seit Mitte März läuten täglich um 19.30 Uhr katholische und evangelische Gemeinden ihre Kirchenglocken. Sie rufen damit zum gemeinsamen Gebet in Zeiten von Social Distancing auf. Es gebe eine lange Tradition, Glocken zu bestimmten und außerordentlichen Ereignissen neben der normalen Läuteordnung zu läuten, berichtet der Glockensachverständige der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Claus Huber, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Kein Läuten sei ein reines Zeitzeichen, auch wenn dies vielen Menschen nicht mehr bewusst sei.  

Als Beispiel nennt Huber das heutzutage fast überall übliche Läuten einer Kirchenglocke um 12 Uhr mittags. Das wurde 1456 angeordnet von Papst Calixt III. als Aufruf zum Gebet für den Sieg der Ungarn gegen die einfallenden Osmanen. "Türkenläuten" wurde daher das Mittagsläuten vielerorts genannt. Im Lauf der Zeit hat sich die Bedeutung geändert: "Heute gilt das 12-Uhr-Läuten speziell als Gebetsruf für den Frieden", sagt Huber.

Läuteordnungen sind je nach Region verschieden. Die traditionelle Läuteordnung der württembergischen Landeskirche kennt beispielsweise sieben tägliche Läutezeiten. Dreimal läutet die Betglocke, nämlich morgens, mittags und abends. Vier Mal läutet die Kreuzglocke, um an die Passion Christi zu erinnern, nämlich um 9, 11 und 15 Uhr und zur Vesperzeit, die je nach Jahreszeit zwischen 16 und 18 Uhr liegt.

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"Eine Besonderheit ist nun das aktuelle Läuten zum Corona-Gebet, das zudem mithilft, bewusst auf die Glocken und ihren Ruf zu Gebet und Gemeinschaft in dieser ernsten Zeit zu hören", sagt der Glockensachverständige. Viele Landeskirchen und Diözesen haben zum Einsatz zweier großer Glocken geraten. In der evangelischen Landeskirche Württemberg hat man sich für das Läuten nur einer großen Glocke, nämlich der Betglocke, entschieden.

"Grundsätzlich ist jeder Glockengebrauch zu befürworten - wenn damit zu Gebet oder Gottesdienst aufgerufen wird", betont Huber. Die Landeskirche unterscheide hier "vor allem nach den gemachten Erfahrungen früherer Zeiten, wo ein profaner Glockengebrauch noch weit verbreitet war". Er erinnert an Siegesläuten im Ersten und Zweiten Weltkrieg oder sonstiges Läuten bei politischen Veranstaltungen oder Menschenehrungen. "Man ist deshalb sehr vorsichtig bei Aktionen, wo zum Glockenläuten anlässlich nicht-kirchlicher Veranstaltungen und Gedenktage aufgefordert wird", sagt Huber.

Deshalb sei es den Kirchengemeinden freigestellt worden, ob sie ihre Glocken einsetzen etwa beim Läuten zur deutschen Wiedervereinigung, am 11. November 2018 zum hundertsten Jahrestag des Kriegsendes 1918, oder zum "Internationalen Tag des Friedens" am 21. September 2019. "Manche Gemeinden haben geläutet, viele auch nicht", weiß der Glockensachverständige. Die Landeskirche empfehle in solchen Fällen, einen Gottesdienst oder wenigstens ein gemeinsames Gebet anzubieten, "womit ein Läuten dann auf jeden Fall gerechtfertigt wäre".