Frau Käßmann, Christinnen und Christen sehen Ostern als Fest der Hoffnung. Warum?
Margot Käßmann: Die Osterbotschaft der Bibel erzählt, dass das Leben stärker ist als der Tod und die Liebe die Kraft ist, die auch die dunkelste Zeit überwindet. Karfreitag mit dem Tod Jesu ist der Tag der Angst, der Stille, des Todes. Ostern feiern wir mit der Auferstehung das Leben, das weiter geht als der Tod. Ostern gibt uns einen Schub an Mut, Hoffnung und Lebensfreude. Ostern steht für Zuversicht.
In Zeiten der Corona-Krise sind Hoffnung und Zuversicht manchmal knapp, zumindest ein gefragtes Gut...
Käßmann: Ich erlebe über Telefonate, auf WhatsApp und in E-Mails viele Menschen, die verunsichert sind und das Gefühl haben, einer Situation ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Eine Erfahrung, die sie sich nicht vorstellen konnten. Viele sind erschüttert und erleben existenzielle Anfragen an ihr Leben. Einerseits gesundheitlich. Da gibt es Angst vor dem Virus, die bei manchen bis zur Panik reicht. Dann aber auch wirtschaftlich, dass auf einmal der Familienvater auf 67 Prozent Kurzarbeitergeld gehen muss und sich die Frage stellt: Kommen wir damit über die Runden, können wir die Miete zahlen? Einiges von dem, was bis vor kurzem noch selbstverständlich war, ist jetzt erschüttert. Die Generation, die nach dem Krieg geboren ist, kennt das nicht.
Wie kann es in dieser Situation gelingen, die Zuversicht der Osterbotschaft im Alltag fühlbar werden zu lassen?
Käßmann: Es wird möglich sein über Predigten in Radio- und Fernsehgottesdiensten, über Andachten im Internet. Um 12 Uhr werden am Ostersonntag die Glocken aller evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland läuten. Ich wünsche mir, dass die Menschen dann in ihrem Herzen spüren: Es wird eine Zeit nach dieser Krise geben. Diese Hoffnungsbilder brauchen wir jetzt dringend. In der Ostergeschichte erzählt die Bibel davon, dass Menschen Angst hatten. Jesus ist gestorben. Aber es ist nicht das Ende, sondern es wird Tage geben nach Karfreitag. Es wird Gemeinschaft geben, Barmherzigkeit, Zusammenhalt und Nächstenliebe.
Davon gibt es jetzt in der Krise ja schon eine ganze Menge...
Käßmann: Ja, jeden Tag, das ist tröstlich und ermutigend. Wenn einer für den Nachbarn einkaufen geht, eine freiwillig Dienst tut in einem Pflegeheim. Wo allerorten Verkäuferinnen die Regale auffüllen und an der Kasse sitzen. Überall ereignen sich Geschichten der Hoffnung und der Liebe. Die brauchen jetzt besonders diejenigen, die unter Angst und Einsamkeit leiden. Ich finde gut, dass Kirchengemeinden denjenigen Briefe schreiben, die kein Internet haben. Die Telefonseelsorge hat deutlich aufgestockt. Es gibt Grundschullehrerinnen, die jedes Kind aus ihrer Klasse anrufen, um seine Stimme zu hören, weil wir uns ja auch Sorgen machen müssen, was in gestressten Familien passiert. Wir brauchen das Gefühl, ich bin nicht allein in dieser Krise, da gibt es eine Gemeinschaft, die will das zusammen wuppen. Das sind für mich Ostergeschichten, Auferstehungsgeschichten. Von Menschen, die aufstehen gegen Einsamkeit, Angst und Krankheit.
Sie haben den Optimismus, dass die Solidarität größer ist als die Konkurrenz um Toilettenpapier, Mehl und Nudeln?
Käßmann: Es gibt natürlich immer Menschen, die zuallererst an sich selbst denken. Mein Menschenbild ist aber eher positiv. Ich denke, dass Krisen auch das Beste hervorbringen. Menschen helfen, von denen du es nicht erwartet hättest. Andere tun selbstverständlich ihren Dienst, obwohl sie sich verkriechen könnten. Das wissen wir auch aus Kriegszeiten, dass auf einmal einer mit dem anderen solidarisch ist und nicht jeder gegen jeden kämpft.
Und in der Bibel gibt es dazu Ermutigungsworte, die größer sind als die Betroffenheit, die wir selber ausdrücken können. "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir" - Psalm 23 hat schon Generationen getröstet und ermutigt. Ich bin dankbar als Christin, dass ich solche Worte, solche Bilder und solche Geschichten kenne, die mich tragen. Sie haben Menschen weit vor uns getragen und wir können sie weitergeben.
Die können nun erstmals in der Nachkriegszeit zu Ostern nicht in der Gemeinschaft von Gottesdiensten zur Sprache kommen...
Käßmann: Das ist in der Tat bitter. Ich war in meinem Leben an jedem Ostersonntag in einem Gottesdienst. Aber es gibt so viele verbindende Ideen: Die Fastenkampagne der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema Zuversicht, das Glockenläuten zu Ostern, eine Kerze im Fenster, verbunden mit einem Gebet, Gesang vom Balkon. Sich zu verbinden und zu wissen, es sind auch andere da, die diese Gedanken mit mir teilen - das hilft. Viele Menschen finden kreative neue Formen der sozialen Nähe ohne körperlichen Kontakt. Das finde ich ermutigend.