Kirchen und Menschenrechtler kritisieren EU-Flüchtlingspolitik

Kirchen und Menschenrechtler kritisieren EU-Flüchtlingspolitik
Zehn Tage nach der türkischen Grenzöffnung herrschen am Übergang zu Griechenland noch immer dramatische Zustände. Kirchen und Menschenrechtler üben scharfe Kritik am der EU-Flüchtlingspolitik.

Berlin (epd). Kirchenvertreter und Menschenrechtsgruppen rufen die Regierungen Europas zur Wahrung der Menschenrechte im Umgang mit Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen auf. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx kritisierten am Dienstag die derzeitige Politik als erbärmlich. Menschenrechtler mahnten, dass der Zugang zu einem individuellen Asylverfahren gewährleistet sein muss. Ein humanitärer Helfer berichtete im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) von verheerenden Zuständen an der griechisch-türkischen Grenze, wo Tausende Menschen versuchen, sich Zutritt zur Europäischen Union zu verschaffen.

Der Einsatz-Koordinator der Hilfsorganisation "Support to Life", Volkan Pirincci, sagte: "Ich habe noch nie ein schlimmeres Szenario gesehen." So ereigneten sich entlang der Landgrenze im Norden Griechenlands massive Rechtsverstöße. Es gebe eine große Zahl an "Push-Backs", also Zurückweisungen von potenziell Asylberechtigten. "Sie sind in großer Gefahr, ihr Leben zu verlieren", sagte der Einsatz-Koordinator. Die Organisation "Support to Life" ist Partner der Diakonie Katastrophenhilfe und verteilt vor Ort Hilfsgüter wie Lebensmittel und Decken.

Pirincci, der in der vergangenen Woche im Grenzgebiet war, sagte, er selbst sei Zeuge von Menschenrechtsverletzungen geworden. So habe er mit Kollegen eine Afghanin aus dem Grenzfluss Evros retten müssen. Griechische Grenzschützer hätten die Waffe auf sie und ihren Mann gerichtet und sie gezwungen, durch den Strom zurück auf die türkische Seite zu gehen. "Die Frau hatte Probleme und schluckte sehr viel Wasser." Sie sei beinahe gestorben.

Er habe mit zahlreichen Menschen gesprochen, die nach Überquerung des Flusses von griechischen Einsatzkräften aufgegriffen worden seien. "Sie mussten sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Telefone, Geld und auch Schmuck wurden ihnen abgekommen." Dann seien sie über die Grenze zurückgeschickt worden.

Dramatisch sei auch die Situation in dem improvisierten Camp am Grenzübergang Pazarkule, wo etwa 15.000 Menschen ausharrten. Wenn einige versuchten, die Grenze zu überwinden, werde mit Tränengas, Gummigeschossen und Wasserwerfern reagiert. "Tränengas wird in einem solchen Ausmaß eingesetzt, dass dem auch noch Kinder und alte Menschen ausgesetzt sind, die auf den Feldern in der Umgebung ausharren." Er habe ein 20 Tage altes Baby gesehen, dass Tränengas abbekommen habe. Bei den Menschen an der Grenze handele es sich um alleinstehende Männer wie auch um Familien. Die meisten seien Afghanen und Iraner.

Der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Bedford-Strohm kritisierte: "Anstatt humanitäre Lösungen zu finden, bei denen alle Länder Europas Verantwortung übernehmen, hält man sich Männer, Frauen und Kinder, die Schutz suchen, mit Tränengas vom Leib." Es sei "erbärmlich, was sich an der türkisch-griechischen Grenze derzeit abspielt." Marx, der auch Vorsitzender der bayerischen Bischöfe ist, sagte: "Es geht nicht um eine unkontrollierte Grenzöffnung, sondern darum, die konkrete Not nicht aus den Augen zu verlieren."

Das Deutsche Institut für Menschenrechte und der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte wiesen in Mitteilungen darauf hin, dass eine komplette Abriegelung der Grenzübergänge, wie sie Griechenland derzeit vollziehe, mit dem völkerrechtlichen Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) nicht vereinbar sei. Felix Ahls, Ko-Vorsitzender der Ärzteorganisation, kritisierte: "Der einende Faktor unter den Regierungen Europas scheint mittlerweile die auch gewalttätige Bekämpfung Schutzsuchender zu sein und das stabilste an der EU-Politik die kontinuierliche Missachtung der Menschenrechte."

Ende Februar öffnete die Türkei ihre Grenzen zur EU. Kurz darauf versammelten am türkisch-griechischen Grenzübergang mehr als 10.000 Menschen.

epd lbm/db/mey rks