Gut ein Dutzend Schaulustige reckt die Hälse nach oben. Besonders die Kinder sind gespannt. 47 Meter weiter oben im Fenster direkt unter der Turmuhr der Marktkirche tut sich etwas. Ein langes Seil ist von dort schräg nach unten zu einem Fahrzeug der Feuerwehr Hannover gespannt. Erstmals übt die Einheit der Höhenretter, Menschen aus dem Turm der Marktkirche zu bergen. Die Feuerwehrleute wollen die kniffligen und problematischen Punkte des Kirchturms kennenlernen, um in einem echten Notfall bereits einen Plan zu haben.
Ein Höhenretter tritt rückwärts und gebückt in oranger Kleidung langsam aus dem Fenster. Ein Zweiter hält sich als Übungsopfer an ihm fest. Vorsichtig tasten sie sich voran. "Der Ausstieg ist der spannendste Moment", sagt Jörg Hoyer und schaut aufmerksam zu den Kollegen nach oben. Der Brandoberinspekteur leitet die Fachgruppe Höhenrettung, zu der rund 40 Feuerwehrleute gehören. "Der Retter muss den Patienten anheben und selbst vorsichtig nach hinten gehen." Gar nicht so leicht bei einem nur 80 Zentimeter breiten Fenster, in dem ein erwachsener Mann nicht aufrecht stehen kann und die Karabinerhaken in ein Seil unten zwischen den Füßen eingeklinkt werden müssen.
"Wir haben noch nie an der Marktkirche geübt", sagt Hoyer, der seit 18 Jahren als Höhenretter bei der Feuerwehr Hannover arbeitet. Die Marktkirche ist einer der exponiertesten Punkte der Stadt. Ein bisschen wundert ihn selbst, dass sie sich hier noch nie abgeseilt haben. Hohe Objekte sind ausgesuchtes Übungsziel der Einheit. In 72 Fortbildungsstunden jährlich proben die Feuerwehrleute an Windrädern, Fernsehtürmen, den Schornsteinen von Kraftwerken oder an Anlagen in Vergnügungsparks. In der Realität müssen sie häufig suizidgefährdete "Springer" oder verletzte Personen retten. Kirchen allerdings stehen selten auf ihrem Plan.
Langsam seilen sich die beiden Höhenretter an der Marktkirche abwärts. Auf den ersten Metern stößt sich der Retter an der Wand ab, dann entfernt sich das Schrägseil immer weiter vom Turm. "Wir wollen die Fassade schonen", erläutert Hoyer. Die äußeren Fenstersimse sind deutlich sichtbar abgeschabt. Über Jahrhunderte wurde der Glöckner der Marktkirche, der hier Türmer hieß, über eine Seilwinde an der Außenwand mit Lebensmitteln versorgt. Er nahm sie aus dem selben Fenster entgegen aus dem heute die Retter klettern.
Genau wie damals ist es auch heute leichter, Lasten oder eben Personen über ein Seil außen zu transportieren, als sie auf einer Trage die enge Wendeltreppe hoch- oder hinunterzuwuchten. "Das wäre für den Patienten überhaupt kein Spaß", unterstreicht Hoyer. Doch auch das üben die Feuerwehrmänner diesmal und in weiteren Übungen der kommenden Monate, damit das ganze Team die Marktkirche kennenlernt. Für Kinder und andere Schaulustige gibt es also noch einige Gelegenheiten, die Hälse zu recken.